BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung

10. September 2016: Nach rechts! Und - 30 Jahre.

Liebe Freunde und Freundinnen der «Bochumer Arbeitsgruppe»,

vielen Dank für Ihre zahlreichen Einsendungen in den letzten Monaten, die sich fast immer mit diesen Fragen beschäftigten: Der letzte Beitrag auf boag.de ist vom 20. Februar 2016? Wie kann das sein? Was ist da los? Gibt es die «Bochumer Arbeitsgruppe» noch? Wie ist der Gesundheitszustand von Artus P. Feldmann? Was machen Albertine Devilder und Henriette Orheim? Hallo?

Nun, in unserer Kolumne vom 1. Dezember 2015 schrieben wir schon, daß unsere Empörungsbereitschaft stark nachgelassen hat. Es geht in Europa nach rechts. Da ist nix mehr zu machen. Henriette Orheim hat in einem schönen kleinen Essay gezeigt, wie nah das Ende der Aufklärung ist. Und Albertine Devilder und Henriette Orheim haben analysiert, was es heißt, wenn ‹besorgte Bürger› eine Bewegung bilden und völlig mitleidlos gegen Flüchtlinge und Vertriebene hetzen. Ach! Wie kleinbürgerlich ist das doch!

Die Redaktion der «Bochumer Arbeitsgruppe» hat sich nun entschlossen, noch einmal etwas triftiges zu diesem Thema zu schreiben. Es wird um einen ‹Schnelltest› zur Unterscheidung von ‹linker› und ‹rechter› politischer Argumentation gehen. Warum können sich die beiden Argumentationsstränge niemals treffen? Gute Frage. Albertine Devilder und Henriette Orheim haben die Antwort. Demnächst, auf boag.de!

Ja, und dann ist da noch was. Wenn Sie sich, liebe Freunde und Freundinnen, einmal das freche, wunderbare Gründungsdokument der «Bochumer Arbeitsgruppe für sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung» betrachten, dann sehen Sie zu Ihrer Überraschung: Hey, das war vor 30 Jahren. In Worten: Dreißig. Mal sehen, was die Redaktion dazu sagen wird. Ich bin gespannt.

Bald mehr.


Liebe Grüße
von Ihrem


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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8. Dezember 2015: 29. DGVT-Kongress 2016 in Berlin: The Dark Side of «Trauma»: Posttherapeutische Dissoziationen

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

am Samstagnachmittag, dem 27.02.2016, gestalten die mit uns verbundenen und unermüdlichen Gentlemen Eugene Epstein, Lothar Duda und Manfred Wiesner ein Symposion (14:00-16:00) und anschließend (16:30-18:00) einen Round-Table Erfahrungsaustausch zum Thema:
The Dark Side of «Trauma»: Posttherapeutische Dissoziationen
Die Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe› empfiehlt dringend den Besuch dieser Veranstaltung, denn der aus der Medizin übernommene Traumabegriff hat in den letzten Jahrzehnten leider eine steile Karriere gemacht. Er hat dazu beigetragen, bestimmte Lebenserfahrungen durch die Übersetzung in seelische Verletzungen (Medikalisierung) zu etwas therapeutisch Behandelbarem zu machen. Hat das ‹medizinische Modell› auch hier gesiegt?

Gleichwohl beispielsweise Kriegserfahrungen als Auslöser sogenannter Traumata beschrieben werden, scheinen die politischen Schlussfolgerungen nicht zu einer Infragestellung militärischer Konfliktlösungen zu führen, sondern zu einer Privatisierung militärpolitischer ‹Folgekosten›. Die Globalisierung der westlichen Traumaidee führt darüber hinaus zu einer Kolonialisierung und Verdrängung solcher Kulturen und Diskurse, die zum Verständnis und zum Umgang mit solchen Lebenserfahrungen alternative Formen entwickelt haben.

Die Isolierung entsprechender Erfahrungen als Traumata erleichtert in diesem Zusammenhang ihre Kommodifizierung. Traumata werden so zu marktgängigen und geschäftsträchtigen Waren.

Das Symposion will mit Hilfe einer posttherapeutischen Haltung versuchen, sich vom üblichen Störungsdenken zu dissoziieren und Perspektiven jenseits des Mainstream ausleuchten.

Die ReferentInnen und ihre Beiträge:


Olga Runciman (Kopenhagen)

The Dark Side of Trauma and the Right to Define

I will, in this talk, be discussing trauma from a post psychiatric perspective. What is trauma, who defines it and most importantly who is the expert? I will be focusing on those whom we in western society consider the most severely mentally distressed, namely those diagnosed as schizophrenics. They are also the group who are most likely to be stripped of their agency and instead, defined by well meaning experts. Thus, I will be questioning the role of experts, the individualization of distress and the concept of normality. I will do this by giving voice to those who are normally silenced and through their voices, open up spaces suggesting that trauma is multifaceted, with discourse specific truths.


Klaus Dörner (Hamburg)

Trauma: Was ist es wert?

Der Traumabegriff ist mehr denn je in aller Munde. Verwendet ihn beispielsweise eine Nachrichtensprecherin, wissen wir alle sogleich, was gemeint ist. Wäre der Begriff nicht common sense, ja, gäbe es ihn womöglich gar nicht, welche Optionen könnten wir dann haben, über ‹entsprechende› Ereignisse und Erfahrungen zu sprechen? Welche unhinterfragten Annahmen kaufen wir ein, wenn wir die Traumametapher verwenden? Was haben wir vom Traumabegriff – als einzelne(r) und als Gesellschaft? Was haben Trauma und Markt miteinander zu tun? Und wie stehen Trauma und Politik zueinander? Worauf könnte es jenseits psychotherapeutischer Methoden ankommen, um jenen Phänomenen zu begegnen, auf die heute (noch) mit dem Traumabegriff reagiert wird?


Ethan Watters (San Francisco)

The Globalization of the American Mind

There is now a solid body of research to suggest that mental illnesses are not, as sometimes assumed, spread evenly around the globe and across history. In a talk based on his recent book, Watters will review the body of work by cross-cultural psychiatrists that has shown that mental illnesses appear in different cultures and periods in history in endlessly complex and unique forms. Because the troubled mind has been perceived in terms of diverse religious, scientific, and social beliefs of discrete cultures, the forms of madness from one place and time in history often look remarkably different from the forms of madness in another. But with the increasing speed of globalization, things are changing quickly. The remarkable diversity once seen among different cultures’ conceptions of madness is now disappearing. A few mental illnesses identified and popularized in the United States— depression, post-traumatic stress disorder, and anorexia among them—now appear to be spreading across cultural boundaries and around the world with the speed of contagious diseases. Indigenous forms of mental illness and healing are being replaced by disease categories and treatments made in the USA. To lay bare these international trends, Watters will explore four case studies: The rise of anorexia in Hong Kong in the 1990s; the spread of Post Traumatic Stress Disorder and western trauma therapy to Sri Lanka after the Boxing Day tsunami; the changing notions of schizophrenia in Zanzibar; and the selling of depression to Japan after that market was open to SSRIs.


Im anschließenden Round-Table Austausch wird die im Symposion begonnene Diskussion zusammen mit den ReferentInnen vertieft. Die Organisatoren des Round Table werden mit einem filmischen Intro die Fortführung der Diskussion einleiten. Die Teilnahme am vorausgehenden Symposion ist für die Teilnahme am Gespräch hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich.

Noch ein Hinweis:

Die Gentlemen zeigen darüber hinaus am Donnerstag, dem 25.02.2015, im Rahmen des Forums von 16:30-18:00 eine Filmcollage mit dem Titel:

The Therapeutic Horror Picture Show: Eine cineastische Selbsterfahrung der TherapeutInnenrolle

Begriffe wie ‹therapeutischer Stil› oder ‹therapeutische Haltung› werden vielfältig in der Ausbildung und der Fachliteratur vermittelt. Woher stammt unsere Vorstellung, wie wir als TherapeutInnen uns verhalten und in Beziehung treten sollten? Das Genre des Therapiefilms bietet hier eine angenehme Möglichkeit die eigene Rolle als TherapeutIn zu reflektieren.


Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›, Berlin ist ja eigentlich immer eine Reise wert, doch während dieses Kongresses werden Sie darüber hinaus so viele nette Soziale KonstruktivistInnen treffen, wie sonst nirgendwo!

Don’t miss this one!


Liebe Grüße
von Ihrem


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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1. Dezember 2015: Mitteilung der Redaktion

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

vielen Dank für Ihre vielen freundlichen und besorgten Anfragen, was denn nun mit der ‹Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung› los sei. Kaum neue Texte, die letzte Kolumne vom April, ja, hat denn die ‹Bochumer Arbeitsgruppe› keine Autoren und damit keine Zukunft mehr?

Nun, in eben der letzten Kolumne schrieb ich zur Erklärung dies:

«Die Redaktion ist zusammen geschnurrt, sie hat sich zusammen gezogen, auch etwas zurück gezogen, sie prüft nicht mehr täglich ihre Ratlosigkeit gegenüber den Zeitläuften.»

So ist es. Unsere Empörungsbereitschaft hat deutlich nachgelassen. Da wir die wesentlichen Entwicklungen in unserem Gemeinwesen schon vor einiger Zeit beschrieben, ja, vorausgesagt haben, fragen wir uns, warum wir uns wiederholen sollten. Es hilft nichts.

Henriette Orheim hat gezeigt, wie nah das Ende der Aufklärung ist. Denn es geht nach rechts, mit allen Mitteln. Polen und Ungarn sind bereits offen rechtsradikal und autoritär. Vermutlich werden weitere Staaten der EU folgen. Albertine Devilder und Henriette Orheim haben analysiert, was es heißt, wenn ‹besorgte Bürger› eine Bewegung bilden und völlig mitleidlos gegen Flüchtlinge und Vertriebene hetzen. Wie kleinbürgerlich ist das doch! Wie kleinmütig! Wie dégoûtant!

Nachdem wir viele Jahrzehnte in einem großartig säkularisierten Land gelebt haben, werden plötzlich wieder Fragen nach der Religionszugehörigkeit gestellt. So war unser vorbildliches Grundgesetz nicht gemeint. Ach! Es ist furchtbar. Schweigen wäre wirklich eine sehr angemessene und ästhetische Reaktion. Aber so weit ist die Redaktion noch nicht.

Am schlimmsten ist jedoch, daß durch die Entwicklung des Internet ein jeder öffentlich machen kann, welche eingeschränkte Weltsicht er hat. Und ein jeder tut es, müllt die einschlägigen Foren zu und zeigt freiwillig seine Unmündigkeit. Das Niveau dieser Beiträge ist erschreckend.

Ja, viel Hoffnung gibt es derzeit nicht. Und doch begeben wir uns jeden Tag wieder tapfer in unsere Lebenszusammenhänge.

Aber wenn wir die schönen Aphorismen lesen, die ich in meiner Kolumne vom 11. August 2014 zitiere, könnte es heute ein guter Tag werden. Also, lesen Sie sie. Scrollen Sie nach unten, und der Tag wird zum Freund.


Liebe Grüße
von Ihrem


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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16. April 2015: ‹Gender-Schlampe›

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

die letzte Kolumne datiert vom Dezember 2014? Wie das? Nun, die Redaktion ist zusammen geschnurrt, sie hat sich zusammen gezogen, auch etwas zurück gezogen, sie prüft nicht mehr täglich ihre Ratlosigkeit gegenüber den Zeitläuften.

Denn der Abschied von der Aufklärung scheint unaufhaltsam, der damit leider verbundene häßliche Weg nach ‹rechts› ebenso. Ein Blick in die allfälligen Kommentare im Internet zu den verschiedensten leicht aufklärerischen Themen läßt einen fast erblinden. Es ist eigentlich unvorstellbar, wie eine ehemalige Qualitätszeitung zu einem ‹heutigen› Reizthema mit tausend dummen, gemeinen, überheblichen, chauvinistischen und schlicht blöden Kommentaren überflutet wird. Eine Ethik des Schreibens ist verloren gegangen, falls es sie je gab.

Auf eines der heutigen Reizthemen möchte ich hier etwas näher eingehen. Der Titel dieser Kolumne sagt alles. Es ist erstaunlich, wie unbestritten auch bei der Betrachtung der Geschlechter der Weg nach rechts kaum mehr aufzuhalten ist. Da gab es in 80ern und 90ern des letzen Jahrhunderts sozial-konstruktivistische, sozialtheoretische, strukturalistische und post-strukturalistische Ideen, wie die moderne Erzählung über die vermeintlichen Geschlechterdifferenzen zu verstehen sein könnte und vor allem, welchen Sinn sie in einer final-kapitalistischen Gesellschaft macht. Dieser modernen Erzählung wurde eine postmoderne Erzählung gegenüber gestellt, die versprach, unser Denken über Geschlechterdifferenzen auf ein neues Emergenzniveau zu heben. Ach, was ist davon nur geblieben!

Nach wie vor untersuchen Männer irgendwas im Gehirn von Männern und Frauen, das vermeintliche Unterschiede erklären könnte. Früher waren es die auffälligen Unterschiede im Gewicht und in der Größe, dann das vermeintlich unterschiedlich große ‹Corpus Callosum›, dann die unterschiedlichen Hirnhälften, und heute sucht man mit ‹bildgebenden Verfahren› nach Aktivitätsunterschieden im Gehirn von Männern und Frauen bei bestimmten Aufgaben oder Anforderungen. Und das lustige oder traurige ist nun, daß unabhängig davon, was bei irgendeiner Untersuchung ‹gefunden› wird, die Interpretation des ‹Befundes› von vornherein fest steht. Der Befund kann nur zum Nachteil von Frauen interpretiert werden. Wer überzeugt davon ist, daß Frauen ‹dümmer› und ‹emotionaler› sind als Männer, wird dieses in seine ‹Befunde› hinein interpretieren. Denn ein wichtiger sozial-konstruktivistischer Lehrsatz sagt, daß es nicht wichtig sei, was geschieht, sondern wie darüber gesprochen wird. Genau. Es ist ziemlich unwichtig, welche Befunde ‹gefunden› werden, entscheidend ist, wie darüber gesprochen wird, und gesprochen wird – über die Interpretation der Befunde! Ach, es ist wirklich ermüdend, sich diese Studien zu betrachten.

Die Kanadierin Cordelia Fine ist eine der wenigen Autorinnen, die sich heute noch traut, das Versagen der Forschung bei der angeblichen Ermittlung geschlechtsspezifischer Gehirnleistungen anzuprangern. In ihrem großartigen Buch ‹Delusions of Gender: The Real Science Behind Sex Differences› (Icon Books Ltd. London 2010) skizziert sie eine Fülle von Untersuchungen, welche Überzeugungskraft die moderne Erzählung bei forschenden Männern hat. Hier nur ein Beispiel:
«Die Philosophin Robyn Bluhm von der Old Dominion University in Virginia wollte herausfinden, inwieweit sich die Gehirne von Männern und Frauen beim Verarbeiten emotionaler Prozesse unterscheiden. Dabei hat sie auch drei wissenschaftliche Studien entdeckt, die Männer und Frauen beim Glücksspiel beobachteten. Die Forscher untersuchten, welche Veränderungen es bei riskantem Spiel in einer bestimmten Gehirnregion gab, dem präfrontalen Cortex. Das ist die Region, die die Kontrolle über unsere Emotionen übernimmt. Dieses Gehirnareal brauchen wir also, wenn wir uns riskant verhalten: Unser Wille drückt dann unsere Angst weg. […] Die Ergebnisse der drei Studien zu dieser Frage waren komplett verschieden. Die erste Studie fand mehr Aktivität im Cortex bei Männern, die zweite weniger und die dritte eine ähnlich große Aktivität bei Männern und Frauen. Das Bizarre aber war: Alle drei Wissenschaftlerteams interpretierten diese komplett unterschiedlichen Ergebnisse in die gleiche Richtung – nämlich dahin, dass Männer mehr Kontrolle über ihre Emotionen hätten als Frauen. […] Mehr Aktivität bei Männern zeigte den Autoren, dass deren Emotionskontrollzentrum eben härter arbeitet und sie sich deshalb riskanter verhalten würden. Weniger Aktivität bei Männern zeigte den Autoren dagegen, Männer würden ihre Emotionen eben effizienter kontrollieren.» [1] Zitiert aus einem Interview mit Cordelia Fine in der Süddeutschen Zeitung vom 23. März 2015, Seite 10.
Wir können uns gut vorstellen, was die ‹Schwarmintelligenz› des Internets zu der oben genannten Passage, zu dem Buch von Cordelia Fine und zu ihrer Person mitzuteilen hat. Genau. Aber es gibt auch einige wenige Menschen, die das oben genannte Buch wirklich gelesen haben und es gut finden.

Die meisten Leute lesen jedoch lieber Allan Pease und Barbara Pease: ‹Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken: Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen.› Und danach noch vom selben Autorenpaar: ‹Warum Männer immer Sex wollen und Frauen von der Liebe träumen.›

Tja, so ist das. Gibt es Hoffnung? Nein. Mit dem Ende der Aufklärung wird die ‹moderne Erzählung› über Geschlechterdifferenzen siegen. Nur einige wenige, die happy few, werden sich an das Versprechen der ‹postmodernen Erzählung› halten und es - für sich - einlösen!


Liebe Grüße
von Ihrem


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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22. Dezember 2014:

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

seltsame Zeiten. Und es geht nach rechts. Aufklärung war einmal. Vermutlich weiß kaum einer, was mit dem Begriff ‹Aufklärung› einmal verbunden war. Angesichts der wohl unaufhaltsamen Entwicklung sind wir in der Redaktion etwas ratlos. Klar, wir bemühen uns, Zeichen des Verstehens und des Ergründens zu setzen.

So hat die unermüdliche Henriette Orheim in ihrem Essay ‹Abschied von der Aufklärung oder: Es geht nach rechts!› in Ruhe die wesentlichen Punkte gesammelt, die die vielen unaufgeklärten, sich aber für ‹schlau› haltenden ‹Mitbürger›, die meinen, auf irgendeine Art und Weise zu kurz gekommen zu sein, umtreiben. Beide Formulierungen sind wichtig: Diese sich gegen die vermeintlichen ‹Gutmenschen› erregenden ‹Schlechtmenschen› - um einen plausiblen Gegensatz zu bilden - sind getrieben, fühlen sich getrieben von ihrer Wahrheit. Und dieses ‹zu-kurz-gekommen sein› spiegelt sich in fast allen Behauptungen wieder, die die ‹Schlechtmenschen› heraus schreien: Irgendwelche ‹Fremden›, die ihrer Ansicht nach buchstäblich unter ihnen stehen, weniger wert sind und die niemals als ‹Menschen› gesehen werden, bekommen auf Grund der Dummheit der ‹Gutmenschen› mehr von irgendeinem Kuchen ab, als sie selbst. Selbst die bizarrsten Behauptungen werden gerne geglaubt. Mit ‹Vernunft› hat das gar nichts mehr zu tun.

In ihrem Essay ‹Abschied von der Aufklärung: Krieg› zeigen Henriette Orheim & Helmut Hansen auf einige epistemologischen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um in Kriege ziehen zu können. Diese Voraussetzungen mögen überraschend klingen, aber ohne sie gäbe es keine Kriege. Und wieder sehen wir: Mit ‹Vernunft› hat das nichts zu tun.

Werner Murke setzt den Reigen fort und erläutert in seinem Essay ‹Abschied von der Aufklärung (3): Psychotherapie›, wie leichtfertig und wohlfeil in der Psychotherapie von gesellschaftlichen Bedingungen, sozialen Räumen, einem biographischen Gewordensein und absehbaren Lebenskrisen abgesehen wird, um dann Klienten mit einer allfälligen Diagnose plus Medikamentierung und Standardtherapie zu ‹versorgen›. Seltsamerweise scheinen die Klienten eine Krankheitszuschreibung zu mögen. Ihre Krisen verweisen nicht länger mehr auf ihre Lebensprobleme. Hey, sie sind einfach krank! Mit ‹Vernunft› hat das nichts zu tun.

Wir danken allen Freunden und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe› für ihr Interesse an unserer Arbeit. Und, mal sehen, vielleicht erleben wir ja gar noch das besondere Jubiläum:30 Jahre ‹Bochumer Arbeitsgruppe›! Hach! Das wäre was!


Liebe Grüße
von Ihrem


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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11. August 2014: Ferien-Ende

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

nach einigen Wochen in Norwegen ist es alles andere als einfach, in den Alltag zurückzukehren. Vielleicht sollte man oder frau zu Hause einige Wochen lang keine Medien beachten, um der immer weiter fort schreitenden Hysterie und Dummheit – insbesondere in den uferlosen Kommentaren zu sinnlosen ‹Nachrichten› – noch eine Weile zu entgehen. Und da gibt es auch noch ein paar Kriege! Menschen schießen auf Menschen und fühlen sich im Recht. Kaum zu glauben.

Wir haben hier in der Redaktion schon oft gedacht, daß Religionen die Quelle vieler Übel sind, denken wir mal nur kurz an die sog. Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August 1572, als eine große Zahl französischer Protestanten, die so genannten Hugenotten, einfach umgebracht wurden. Nun, das war im Mittelalter, und jetzt beobachten wir, wie im Namen einer Religion wieder eine Welt des Mittelalters hergestellt wird. Kaum zu glauben.

Und dabei ist der Kopf noch voller Erinnerungen an den wunderschönen Weg durch das Kjondalen und die einsamen und auf Grund selbst gelegter Steinhaufen wieder entdeckten Pfade zum Gråknarten, zum Rondhaugen, zur Vardhøe, zum Karihaugen und natürlich zum Baksidevassberget, einem wichtigen Sehnsuchtsort unserer Autorin Albertine Devilder. Ach!

Und jetzt hören wir den Chor der Bürger und Bürgerinnen: ‹Das Leben geht weiter!› Hm, das könnte sein, nur wohin geht es? Naturgemäß sind in allen Fällen, die unser Leben betreffen, Aphorismen unser großer Freund. In winzigen, gleichsam sprachlich eingedampften Miniaturen, zeigen sie uns mögliche Wege. Wir versuchen mal, einige zu finden. So sagt etwa Eugène Fromentin:
«Das Leben wird nur denen leicht, die sich stets an seiner Oberfläche halten. ... Es genügt, sich vom Strome treiben zu lassen; man wird mitgerissen und geht nicht unter.» (Dominique (1862) Seite 149)
Und wenn ein Sich-treiben-lassen nicht so einfach ist? Wenn das Getöse um uns herum zu laut wird? Unser Autor Benjamin Erhard sagt es so:
«Wir schlagen uns in unserem Leben doch nicht mit Zumutungen herum. Das Leben selbst ist die Zumutung.»
So wird es sein. Selbst der Titan Goethe hat das erkannt:
«Unser bürgerliches Leben, unsere falschen Verhältnisse, das sind die Abenteuer, das sind die Ungeheuer, und sie kommen uns doch so bekannt, so verwandt wie Onkel und Tanten vor!» (Briefe aus der Schweiz. Volksverband-Ausgabe Band 23/24 S. 177)
Und wie nun damit umgehen? Fragen wir Charles Baudelaire:
«Enivrez-vous sans cesse! De vin, de poésie ou de vertu, à votre guise.» (Le Fleurs du Mal. Les petits poèmes en prose.)
Aber auch mit viel gutem Wein können wir dieser Erkenntnis von Thomas Bernhard nichts entgegen halten:
«Was wir denken, ist nachgedacht, was wir empfinden, ist chaotisch, was wir sind, ist unklar.» (Der Wahrheit auf der Spur. Reden, Leserbriefe, Interviews, Feuilletons. Herausgegeben von Wolfram Bayer, Raimund Fellinger und Martin Huber. 2011. Berlin: Suhrkamp Verlag. Seite 70)
Tja, und nun? Halten wir uns an jemanden, dem wir, mit Michel de Montaigne, am meisten zu verdanken haben: Karl Kraus. Er ist unsere letzte Instanz, unser Freund, unser Held, und er stützt uns mit diesem Satz:
«Bevor man das Leben über sich ergehen läßt, sollte man sich narkotisieren lassen.» (Die Fackel Nr. 274, S. 24, vom 27.2.1909)
Das klingt gut, das hilft, allfällige Depressionen nicht auf sich selbst zu attribuieren. Wunderbar! Vielleicht kann Karl Kraus das noch deutlicher sagen?
«Man lebt nicht einmal einmal.» (Die Fackel Nr. 198, S. 3, vom 12.3.1906)
Jetzt geht es uns schon viel besser. Die versammelten Redakteure und Redakteurinnen nicken begeistert mit den Köpfen und erwarten eine finale, endgültige Weisheit. Hier ist sie:
«Menschsein ist irrig.» (Die Fackel Nr. 326, S. 47, vom 8.7.1911)
Hach! Die Depression ist verschwunden! Aphorismen heilen! An die Arbeit!


Liebe Grüße
von Ihrem


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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6. Juli 2014: Ferien

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

eine alte und langjährige Freundin wandelte schon im Mai in Norwegen auf den Spuren Knut Hamsuns (Nobelpreis für Literatur 1920), nicht bedenkend, daß der Sommer in diesem schönen Land meist etwas später beginnt, und so stand sie einigermaßen überrascht vor der Tatsache, daß die wunderschöne Erinnerungsstätte am alten Handelsplatz Kjerringøy und das architektonisch überraschende Hamsunsenteret in Hamarøy noch geschlossen waren, was sie aber nicht daran hinderte, auch das ferne Tranøy zu besuchen, und siehe da, ein kleiner Ort, eine Landschaft, eine Küste, die im Leben Hamsuns eine gewisse Rolle spielte, zeigte sich nicht verschlossen und abweisend, sondern bot mit Edvardas Hus ein wahrlich bezauberndes Hotel, in dem sie nun ganz gerechtfertigt ihre müden Glieder ausruhen konnte.

Andere Freunde und Freundinnen waren gerade in Drammen in Norwegen beim Kongress des ‹Taos Institute›, um dort unsere Gedanken zu «Beyond the Therapeutic State» zu erläutern, die Sie hier nachlesen können. Tabitha Schwartzkopf, die gemeinsam mit der ‹Taskforce Psychopathomythologie› ebenfalls in Drammen war und die im Mai noch von der Postersession zu «Wie kränklich ist die Wirklichkeit? - Die Rhetorik der Psychopathologie» vom DGVT-Kongress in Berlin berichtete, wollte aber nun unbedingt mit dem ebenfalls in Drammen aufgetauchten und sehr scheuen Timotheus Fleck noch einen Ausflug nach Norden unternehmen, ohne zu bedenken, daß Entfernungen in Norwegen tatsächlich Entfernungen sind. Nun, es ging gut aus.

Einige andere alte Hasen und Häsinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›, darunter einige prominente Mitglieder der Redaktion, zieht es auch wieder nach Norwegen, und sie treffen sich just in der nächsten Woche in Høvringen, in der Gemeinde Sel, um von dort aus das Naturreservat ‹Rondane› meditativ schreitend zu erkunden. Die Alm ‹Høvringen› wird übrigens in ‹Kristin Lavranstochter› von Sigrid Undset (Nobelpreis für Literatur 1928) mehrmals erwähnt, und der alte Jørundshof in Sel wird heute immer noch liebevoll gepflegt. Aber das führt jetzt alles doch zu weit.

Eins noch: Wir machen uns keine Sorgen mehr, wer mal in unsere Fußstapfen treten und unsere mühevolle wissenschaftliche Arbeit im Dienste der Menschheit übernehmen könnte. Nach J.O.J. hat soeben in Berlin auch D.J.J. das Licht der Welt erblickt! Wir freuen uns sehr! Nein, wir sind sehr glücklich!

Alles wird gut! Jetzt können wir beruhigt für einige Wochen nach Norwegen fahren!


Schöne Ferien wünscht Ihnen


Artus P. Feldmann und der
Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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18. Juni 2014: Fragen und Antworten

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

die Damen und Herren in der Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe› wirken nach etwa 10 - 27 Jahren Mitarbeit doch etwas älter, und die Kolumnen werden etwas seltener. Dies heißt nun aber nicht, daß hier in der Redaktion nichts los wäre. Nach wie vor wird unsere Website mehrhundertfach pro Tag aufgerufen, nach wie vor erhalten wir

  • dringliche Mails («Ich muß morgen eine Arbeit zum Konstruktivismus abgeben, habt ihr da was für mich! Eilig!»),
  • freundliche Mails («Der kleine Text zu Springsteen & I hat mich sehr beeindruckt. Ich habe mir den Film gleich besorgt.»),
  • lobende Mails («Ich möchte mich bei Ihnen und Ihren langjährigen Mitstreitern bedanken für die wunderbare Sammlung von Ideen, Reflexionen und Thesen. Große Klasse in der ganzen Art des Auftretens, der konsequenten Selbstinfragestellung und der Durchleuchtung des Herstellens von Wirklichkeiten. Wirkliche Inspiration, wirkende Berührung.»),
  • unfreundliche Mails («Dieses linke Gutmenschentum bei euch geht mir voll auf den Zeiger! Streicht euch nicht so heraus!»),
  • präzise Mails («Ich glaube, daß muß nicht akkumulativer Fragmentarismus, sondern akkumulativer Fragmentalismus heißen!»)

  • und vor allem Mails mit Fragen. Nun, wir haben mal ein ganzes Arbeitspapier gefüllt mit den Fragen, die uns oft erreichen, und unseren Antworten dazu. Im folgenden skizzieren wir drei aktuelle Fragen-Bereiche, naturgemäß nebst unseren Antworten.


    Beispiel-Fragen zum Praktikum:
    «In irgendwelchen Texten erwähnt ihr, daß in eurer Redaktion auch Praktikantinnen arbeiten. Was zahlt ihr denn in der Stunde?»

    «In der Buchgeschichte zu ‹Howards End› erwähnt ihr eine Praktikantin. Welche Bedingungen stellt ihr für ein Praktikum und was zahlt ihr?»
    Antwort: Die Praktikantinnen erhalten genauso wie unsere Reinemachefrau 15 € in der Stunde. Bevor der gesetzlich verordnete Mindestlohn diesen Betrag erreichen sollte, ist er längst wieder abgeschafft. Und die Bedingungen für ein Praktikum sind vielfältig.


    Beispiel-Fragen zu den Treffen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›:
    «Mit großer Freude habe ich festgestellt, dass die Webseite der Bochumer Arbeitsgruppe weiterhin mit einer Fülle an emanzipatorischen Informationen existiert. Ich habe bereits einigen meiner Freundinnen und Freunde die Lektüre dieser Webseite empfohlen. Sollte es wieder ein Treffen der Bochumer Arbeitsgruppe geben, wäre ich gern daran interessiert dabei zu sein.»

    «Ich bin früher Mitglied in der BOAG gewesen und habe nun mit großer Freude festgestellt, dass die Arbeitsgruppe noch zu existieren scheint. Meine Frage: Gibt es regelmäßige Treffen der Arbeitsgruppe? Ich wäre sehr daran interessiert mich über schöne Gedanken und Inhalte auszutauschen...»
    Antwort: Regelmäßige und organisierte Treffen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe› gibt es derzeit nicht. Die Redaktion trifft sich halt hier und da, um gute Speisen und noch besseren Wein einzunehmen. Meistens im Restaurant ‹Aubergine› in Bochum.


    Beispiel-Frage zum eigenen Studium:
    «Ich studiere Wirtschaftsrecht im vierten Semester. Meine Hochschule spiegelt als das wider, was ich nicht sein möchte. Sie lässt sich am besten mit "neoliberalistischer Kaderschmiede" beschreiben. Sie entspricht all jenen Beschreibungen, die die BOAG über das heutige Verständnis von Bildung zum Besten gab (die berühmte und geliebte Seite 27 im Arbeitspapier Nr. 11, bemerkenswert im Übrigen, dass sie von 1993 stammt und den Punkt 20 Jahre später nicht genauer treffen könnte).»
    Antwort: Die Auseinandersetzung mit einer neoliberalen Institution wie Ihrer Universität ist eine Angelegenheit, die Sie kaum gewinnen können. Sie werden vermutlich fürchterlich frustriert werden, da sich niemand für Ihre wunderbar romantischen Gedanken (oder gar für die Gedanken der BOAG) interessieren wird. Höchstens mal in einer Sonntagsrede. Im ‹Naiven Realismus› gibt es nun einmal nur wahr und falsch, oder schwarz und weiß, Zwischentöne (die sinnstiftend wären) werden nicht zugelassen, da der übergeordnete Sinn einer Universität, Allzweckwaffen für das Kapital zu produzieren, ja längst fest steht. Sich dagegen zu wenden ist äußerst ehrenvoll, nur werden Sie leiden. Sehr.

    Vielleicht werden wir hier in Zukunft öfter Fragen und Antworten vorstellen. Mal sehen.


    Liebe Grüße
    von Ihrem


    Artus P. Feldmann und der
    Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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    14. April 2014: ‹Selbstgerecht›

    Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

    die Zeit eilt. Dennoch und gerade deswegen beleuchten wir die Veränderungen in unserem Gemeinwesen, die einen Unterschied machen. In unserer Artikelreihe über ‹Pólis und Postdemokratie› haben wir einige wesentliche Entwicklungen beschrieben. Und immer wieder fasziniert sind wir, wenn wir beobachten können, wie sich postmoderne ‹Ichlinge› in ihrer ‹Ichhaftigkeit und Ichhaltigkeit› räkeln. Doch, der Zwang zur immer wieder zu optimierenden ‹Ichhaftigkeit›, der soziale Druck, irgendwie anders oder besonders zu sein, ist schon spannend. Die Optimierung der Selbstwahrnehmung (‹Unterm Strich zähl ich!›) als Dauerprojekt ist eine der wesentlichen pädagogischen Aufgaben der Spätmoderne. Das einzige, was hier stört, ist, daß das ‹reflexive Ich› eine Legende ist. Wir halten es ja eher damit, daß ein ‹Ich› in einem sozialen Raum geprägt wird.

    In letzter Zeit ist nun eine öffentliche Person in den Vordergrund gerückt, die ihr Gewissen und damit die Optimierung ihrer Selbstwahrnehmung in einem bestimmten sozialen Raum bilden durfte. Sie ist über viele Jahre hinweg im Katholizismus erzogen worden, um dann als Person mit einem katholischen Gewissen in der Politik zu reüssieren und der ‹Wissenschaft› zu dienen.

    Dieser nur ihrem Gewissen verpflichteten Katholikin etwas so Unehrenhaftes wie eine fortgesetzte Täuschung in ihrer Dissertation zu unterstellen, kann an dem Gewissen dieser Person nur abprallen. Das ist schon sehr nett. Und wir haben in der Redaktion überlegt, welches Wort am besten passen würde, um die gesamte psychische Struktur dieser nur ihrem Gewissen verpflichteten Katholikin zu erfassen.

    Die gerade zu Besuch in der Redaktion weilende amerikanische Sprachwissenschaftlerin Tabitha Schwartzkopf, deren stupende Deutschkenntnisse wir schon an anderer Stelle bewundern durften, äußerte sich als erste, und mit dem von ihr spontan gewählten Begriff ‹selbstgerecht› öffnete sich für uns alle ein Konnotationshof mit den besten Aussichten.

    Nach dem wir uns eine Weile über Tabithas treffliche Wortwahl freuten, zog unsere Praktikantin das Duden-Synonymwörterbuch zu Rate (selbstverständlich in digitaler Form) und las uns das folgende vor. Am besten wirken diese Synonyme, wenn Sie, liebe Freunde und Freundinnen, sich die Mimik, das Mienenspiel dieser nur ihrem Gewissen verpflichteten Katholikin vorstellen.
    Selbstgerecht: Anmaßend, arrogant, eigensinnig, eitel, hochfahrend, hochmütig, starr, störrisch, überheblich, übertrieben, selbstbewusst, selbstsicher, von sich selbst überzeugt, unbelehrbar, unbescheiden, uneinsichtig, unnachgiebig, selbstgewiss, vermessen, apodiktisch, besserwisserisch, blasiert, borniert, eingebildet, engstirnig, rechthaberisch, selbstgefällig, selbstherrlich, starrköpfig, verstockt, dünkelhaft, hoffärtig, aufgeblasen, hochnäsig.
    Ist das nicht großartig, welche Macht, welche Kraft in einfachen deutschen Wörtern liegen kann? Und ist das nicht überraschend, mit welch spontaner Freude und tiefer Überzeugung wir bei jedem einzelnen Wort zur Zustimmung neigen?

    Wer sich für diesen Fall interessiert und sich über die beispiellose Unterstützung einiger ‹Wissenschaftsfunktionäre› für die nur ihrem Gewissen verpflichtete Katholikin aufregen möchte, dem sei diese Website empfohlen.


    Liebe Grüße
    von Ihrem


    Artus P. Feldmann und der
    Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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    11. Februar 2014: Abschied von Europa

    Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

    wir sammeln hier in der Redaktion schon seit längerer Zeit Belege dafür, daß die Idee eines geeinten und einigen Europas keine Zukunft mehr hat. Wie sah diese Idee aus? Ganz einfach:

    Die Idee, der Traum, die Fiktion, das Konstrukt, das Wort ‹Europa› zauberte ein Etwas herbei ohne Grenzen, ohne Grenzkontrollen, mit einer einheitlichen Währung und dem Recht für alle Bewohner, den Wohnort und den Arbeitsplatz frei zu wählen. Integration und Freizügigkeit waren die Begriffe, die einmal heilig waren. Wir sollten uns klar machen, daß die Mehrheit aller Bewohner Europas eine Einlösung dieser Begriffe nicht will – und vermutlich nie gewollt hat.

    Um das zu belegen, genügt ein Blick in die Kommentarspalten verschiedener Medien. Nicht nur im publizistischen Genre des Schmierlappens und der Dummheit, oder im Genre des Erz-Konservatismus, nein, selbst in eher ‹sozial-liberalen› Medien finden sich zu 95 % Forenbeiträge, die sich explizit gegen eine Integration und eine Freizügigkeit aussprechen. Die Bewohner Europas scheinen die Grundidee Europas abzulehnen. Wenn man dem Volk aufs Maul schaut, dann purzeln da Sentenzen heraus, die klar nationalistisch, chauvinistisch und xenophob sind.

    Durch die eher harmlos aussehende Entscheidung der schweizerischen Bevölkerung nun, die ‹Einwanderung› in die Schweiz in Zukunft besser ‹kontrollieren› zu lassen, ist ein Damm gebrochen, und deswegen ist der Jubel bei den Parteien am rechten Rand besonders groß. Und da Politiker nun mal gewählt werden wollen, werden die europäischen Staaten nach und nach dem Beispiel der Schweiz folgen (müssen).

    Wenn die erste populistische, postdemokratische und autoritäre Regierung eines europäischen Landes sich – unter dem Jubel der Schmierlappenpresse – abschottet, das heißt, seine territorialen Grenzen wieder herstellt, seine Nationalstaatlichkeit empor hebt (Ungarn war erst der Anfang), wieder eine eigene Währung einführt und – unter dem besonders lauten Jubel der Schmierlappenpresse – einen Streit mit einem Nachbarland anzettelt, dann ist Europa an dem Punkt, in dem Zustand, in dem es Jahrhunderte verharrte.

    Es ist bitter, aber die Zeit der Aufklärung ist vorbei! Abschied von Europa! Bereiten wir uns darauf vor. Und jeder kehrt vor seiner eigenen Tür.


    Gefaßte Grüße
    von Ihrem


    Artus P. Feldmann und der
    Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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    20. Januar 2014: Zur Konstruktion einer Posttherapeutischen Welt

    Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›,

    im Mai letzten Jahres freute ich mich in einer Kolumne, daß es immer noch einige wenige Aufrechte gibt, die sich gegen den diagnostischen Größenwahn in Psychiatrie und Psychotherapie wenden und es wagen, das sogenannte ‹Medizinische Modell› – eine allfällige Abweichung von der DSM-Norm wird individualisiert, pathologisiert, und der ‹abweichende› Patient wird isoliert – zu kritisieren. Erinnern Sie sich? Erst diagnostizieren wir, dann therapieren wir, sagt man so. Erst DSM-5, dann das standardisierte Therapie-Manual. Tja. Diese doch arg auf eine Imbezillität weisende schlichte Folklore erinnert uns an unseren ewigen Kanzler, der solche Sachen sagte, wie: ‹Erst planen wir, dann handeln wir›. Klar. Genau danach sieht die Welt ja auch heute aus. Und übrigens, wer diesen Satz des ewigen Kanzlers nicht nur versteht, sondern ihn sogar auch noch gut findet, der hört definitiv Schlager von Andrea Berg.

    Falls Sie den schönen Essay ‹Abschied vom psychiatrischen und psychotherapeutischen Größenwahn: Konstruktionen einer `Posttherapeutischen Welt´› von Eugene Epstein, Manfred Wiesner und Lothar Duda damals nicht gelesen haben oder sich nicht mehr so gut an ihn erinnern können, lesen Sie ihn einfach noch einmal, in der deutschen Fassung.

    Tja, wir haben es weit gebracht, in Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Als winzige Entschuldigung mag ja gelten, daß zum einen ‹Patienten› oft Diagnosen erwarten, und daß zum anderen Psychiater und Psychotherapeuten ohne DSM- oder ICD-‹Diagnosen› kein Geld von den Kranken-Versicherungen erhalten. Ein Teufelskreis?

    Und vor allem wird ja jenseits von Diagnose und Therapie-Manual gar nicht über die Qualität der psychotherapeutischen Arbeit gesprochen. Die scheint gar nicht in Frage zu stehen. Alle scheinen nur zu wissen, daß eine standardisierte Therapie, gleichsam ohne Ansehen der Person, besser ist als das, was einige Therapeuten als Psychotherapeutische Kunst bezeichnen.

    Wie wäre es, einmal ganz grundsätzlich und unbefangen über neue Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie nachzudenken? Wie wäre es, sprachliche und narrative Elemente («Identität ist das, was man/frau sich selbst über sich selbst erzählt.»), literarische und sprachwissenschaftliche (Das eigene Leben als Komödie oder Tragödie), ästhetische und schließlich künstlerische Elemente einzubeziehen? Ist das möglich?

    Nun, wie wäre es, wenn Sie im Sommer mal nach Drammen in Norwegen führen und an einer Konferenz des Tao-Institutes teilnähmen, in der genau diese Fragen durchdacht werden? Das wäre was? Dann klicken Sie hier und freuen Sie sich darauf, dort Freunde der ‹Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung› zu treffen.


    Liebe posttherapeutische Grüße
    von Ihrem


    Artus P. Feldmann und der
    Redaktion der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›


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