BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
Dramolette des Alltags: «Inges Geburtstag»
von Holger Wyrwa
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«Habt Ihr gewußt, daß man Rotweinflecken mit Weißwein entfernen kann!» sagt Susanne in die schweigende Runde. Ferdinand, der Mann von Grete, hört auf, mit seinem Glas zu spielen und blickt zu ihr hinüber.
«Ist nicht wahr!» meint Birgit, während sie sich eine Weintraube in den Mund schiebt.
«Doch, ich schwör`s!» versichert Susanne, «auf meinem Sofa war ein Rotweinfleck. Da habe ich etwas Weißwein genommen und den Rotweinfleck damit herausgerieben!»
«Nicht zu glauben!» staunt Ferdinand und stellt sein Glas auf den Tisch.
«Doch, doch. Ihr könnt mir ruhig glauben. Ich habe es ja auch nicht geglaubt. Doch am nächsten Tag war der Fleck weg!»
Hubert, der Mann von Susanne nimmt ihre Hand und tätschelt sie. Dann gießt er in sein Glas ein wenig Bier nach.
Frauke, die neben Conny sitzt, ohne sie anzusehen, sagt: «Sachen gibt´s!»
Conny dreht Frauke den Rücken zu und spricht mit Paula, die gerade ein Stück Brötchen in ihre Champignoncremesuppe tunkt. «Der Sohn des Hauses läßt sich aber auch nicht blicken. Der hält sich wohl für etwas Besseres!» meint sie.
«Der hat keine Lust auf uns Alte!» sagt Paula unbeeindruckt und kaut mit beiden Backen.
«Das mit dem Irak ist schon schlimm, nicht!» sagt Herbert zu Ferdinand. Ferdinand nickt und streicht mit seinem Zeigefinger nachdenklich über seinen Oberlippenbart.
«Ja, ganz schlimm!»
«Da weiß man nicht mehr, was man machen soll!»
«Ganz recht. Schlimme Sache!»
«Ja, ganz schlimm!»
Es läutet. Tante Trienchen und Onkel Albert kommen. Alle Köpfe drehen sich zur Tür. Inge öffnet und begrüßt ihre Verwandten. Beide umarmen Inge und schenken ihr eine Flasche Parfüm. Dann gehen alle ins Wohnzimmer. Tante Trienchen und Onkel Albert grüßen höflich in die Runde und setzen sich auf zwei freie Plätze.
Grete, die Frau von Ferdinand und Beamtin bei der Stadt, erzählt von ihrem Urlaub: «Wir waren letztes Jahr in Spanien, in La Taverna, ein schönes Örtchen. Wir fahren da jedes Jahr hin. In diesem Jahr war da ein Dorffest. Da wurde die Tage und Nächte durchgesoffen. Das war toll!»
Ferdinand nickt. «Das kann ich nur bestätigen!» sagt er in die Runde und seine Augen strahlen, «manche haben im Stehen geschlafen, und als sie aufgewacht sind, haben sie weitergesoffen. Wir sind natürlich immer wieder ins Hotel zurück und haben da geschlafen!»
«Und dann sind wir wieder feiern gegangen!» ergänzt Grete und ihre Augen strahlen ebenfalls, «das hat uns gut gefallen!»
Ferdinand nickt.
Stefan, Inges Mann, steht auf und verläßt den Raum. Seine Frau kommt nach einer Weile nach.
«Was haben sie Dir eben geschenkt?» fragt er seine Frau. «Riech´mal!» sagt sie und hält ihm ein geöffnetes Fläschchen unter die Nase.
«Oh Gott!» sagt Stefan.
Inge nickt mit schräg gehaltenem Kopf.
«Und die Blumen da?» fragt er, weil er erst später zur Feier gestoßen ist.
«Von Frau Sebald!»
«Sind das Trockenblumen?»
«Nein!» sagt Inge.
«Aber die sind ja schon halb verwelkt!»
«Stimmt!» meint Inge, «ich habe mich auch gewundert!»
«Ist doch immer wieder schön, wenn man alte Geschenke noch einmal neu verschenken kann!» meint Stefan. Inge lächelt. Sie geht wieder zu ihren Geburtstags-Gästen.
Stefan läßt sich Zeit. Er nimmt einen Teller mit Schweinebraten. Dann kehrt er ins Wohnzimmer zurück.
«Warum ist hier eigentlich die Stimmung so schlecht!» will Tante Trienchen wissen, als ein paar Sekunden niemand etwas sagt. «Liegt das an uns?» fragt sie in die Runde. Hubert, der Neffe von Tante Trienchen, sieht sie an. «Was sollen wir darauf denn jetzt noch sagen! Mehr als ein ‹Nein› geht doch wohl nicht!» Tante Trienchen und Onkel Albert sagen nichts.
Frauke steht auf und holt sich aus der Küche etwas zu essen.
«Ich habe letzte Woche Weinkrautsalat ‹Mandarino› gemacht!» sagt Grete.
«Klingt lecker!» meint Conny.
«Du nimmst einen Becher Joghurt, einen Eßlöffel Zitronensaft, einen Eßlöffel Mandarinensaft!»
«Was für einen Joghurt?» will Frauke wissen.
«Natur!» antwortet Grete und fährt dann fort: «Eine Prise Zucker, eine Prise Salz. Dann eine Dose Mandarinen … »
«Klein oder groß?» fragt Frauke.
«Klein. Eine Dose – eine große – Weinkraut, einen großen weinsauren Apfel…»
«Welche Sorte!»
«Am besten Boskop, und 100 Gramm jungen Holland-Gouda!»
Stefan geht zur Toilette.
Else, die noch nichts gesagt hat, verschüttet Mineralwasser auf ihren Rock. «Was sind Sie heut´so forsch, Frau Porsch!» sagt Herbert lustig. Alle lachen laut und klopfen sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
Nach einer Weile kommt Stefan zurück und widmet sich wieder seinem Schweinebraten.
Inge steht auf und geht in die Küche.
Conny wartet, bis Inge verschwunden ist, dann blickt sie in Stefans Richtung. «Schön, daß man Dich auch mal sieht. Da kommt Freude auf!» sagt sie und grinst. «Ja, nicht wahr!» sagt Stefan, schweigt wieder und ißt weiter seinen Schweinebraten.
Tante Trienchen erzählt von ihrem Sohn.
Stille.
Dann sagt Herbert zu Stefan: «Was machst Du eigentlich beruflich!»



Erstellt: 29. Mai 2003 – letzte Überarbeitung: 29. Mai 2003
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