BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Wo geht es denn hier zum Bahnhof?»
Gesammelt von Artus P. Feldmann
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Seit einigen Jahren schon schwirren in der psycho-sozialen Szene Antworten auf eine einfache Frage herum. Die Auswahl dieser netten sozialen Standardsituation gefällt uns ungemein. Und auch die für die so unterschiedlichen professionell orientierten kommunalen Systeme «typischen» Antworten können uns sehr erheitern. Ich habe – im Auftrag der Bochumer Arbeitsgruppe – das derzeit Sagbare auf die oben genannte Frage sorgfältig und gründlich gesammelt und stelle es hiermit aus.

Ein Mensch fragt: «Wo geht es denn hier zum Bahnhof?» Und dies sind die Antworten, alphabetisch sortiert:

Allgemeinarzt: «Kann ich bitte erst einmal ihre Versicherungskarte haben? Oder sind Sie privat versichert?»

Astrologin: «Möglicherweise unterliegen Sie im Moment einem starken Neptun-Einfluß. Deswegen kann ich Ihnen unter Berücksichtigung der derzeitigen Transite nur sagen, wenn Sie versuchen, sich mit unklaren Vorstellungen einem nebulösen Ziel zu nähern, bleibt Ihnen der Weg dorthin natürlich auch verborgen. Ihre Frage scheint mir so eher ein Hinweis darauf zu sein, dass Sie eigentlich gar nicht zu einer Reise auf der körperlichen Ebene aufbrechen sollten, sondern daß Ihre tatsächliche Lebensaufgabe darin besteht, sich auf einen spirituellen Entwicklungsweg zu begeben - und dazu brauchen Sie keinen Bahnhof.»

Bioenergetiker: «Schau mal, dein Körper kennt schon die Antwort. Mach' mal: Sch-sch-sch…! Geht doch!»

Caritasmitarbeiter: «In Deutschland werden die Menschen nicht über den Weg zum Bahnhof informiert!»

Coach: «Sind Sie Teil der Lösung oder Teil des Problems?»

Familienaufsteller: «Wenn Sie ihren Vater hinter sich spüren würden, hätten sie den Bahnhof schon längst gefunden!»

Familientherapeut (klassisch): «Was ist Dein sekundärer Gewinn, wenn Du mich nach dem Weg zum Bahnhof fragst? Möchtest Du meine Bekanntschaft machen?»

Gedächtnistrainer: «Angenommen, ich würde Ihnen den Weg beschreiben. Mit welcher Eselsbrücke könnten Sie sicherstellen, daß Sie sich jederzeit wieder daran erinnern?»

Geistheiler: «Für die Antwort brauchen wir viel positive Energie. Laß uns einen Kraftkreis bilden und Deinen Schutzgeist anrufen!»

Gesprächspsychotherapeut: «Sie wissen den Weg zum Bahnhof nicht, und das macht Sie traurig?»

Gestalttherapeut: «Du, laß es doch einfach voll zu, daß Du zum Bahnhof willst!»

Humanistischer Psychologe: «Wenn Sie wirklich dahin wollen und einfach nur ganz fest an sich glauben, dann werden Sie den Weg schon finden.»

Hypnosystemischer Therapeut und Berater: «Das ist jetzt eine interessante Frage! Was meinen Sie denn, welche Seite in Ihnen zum Bahnhof möchte? Wie alt ist dieser Anteil? Steht er gerade vor, hinter, neben Ihnen? Fragen Sie ihn doch mal, was er damit für Sie bezweckt! Und weil das Unbewusste immer schneller und wirkungsvoller ist, wird ES Sie schon dorthin führen!»

Hypnotherapeut: «Schließen Sie die Augen. Entspannen Sie sich! Fragen Sie nun Ihr Unterbewußtsein, ob es Ihnen bei ihrer Suche behilflich sein will.»

Journalist: «Aus Ihrer Frage machen wir einen Artikel in der nächsten Wochenendausgabe!»

Kreativitätstherapeut: «Hüpfen Sie solange auf einem Bein herum, bis ihr Kopf eine spontane Idee erzeugt!»

Lösungsfokussierter Kurztherapeut: «Angenommen […] Sie wären heute Abend […] nach Hause gegangen und […] mitten in der Nacht […] geschieht ein Wunder […] und was Sie zu mir geführt hat, ist gelöst […] einfach so […] aber es geschah ja, während Sie schliefen […] woran […] würden Sie beim Erwachen merken, dass sie schon am Bahnhof sind?»

Logiker: «Nimm Bahnhof = b, potentieller Reisender = r, intendiertes Reiseziel = i, Menge der möglichen anderen Reiseziele, wenn Sie falsch einsteigen = I, Ort des Aufenthalts von r zum Zeitpunkt t = O(r, t), Distanz vom Bahnhof zu O(r, t) = d(b, O(r, t)), wobei ohne Beschränkung der Allgemeinheit der Ort des Bahnhofs mit b identifiziert und für den Zeitraum der Fragestellung als fix anzunehmen sei. Betrachten wir nun die Menge der partiellen potentiellen Modelle für (b, r, i, I, O(·,·), d(·,·)) in Abhängigkeit vom Zeitmodell (relativistisch oder newtonisch, verzweigte oder lineare Zeit), so ergibt sich aufgrund der Braithwaite-Ramsey-Vermutung bei geeigneten Vorbedingungen eine prognostische Relevanz, die sehr interessant wäre, […], interessant wäre, […] wenn dieser Kerl mir weiter zugehört hätte!»

Logopäde: «Das heißt nicht ‹Bannhoff›, sondern ‹Baahhnhoof›. Versuchen Sie's noch einmal!»

Manager: «Fragen Sie nicht lange! Gehen Sie einfach los!»

Moderator: «Welche Lösungswege haben Sie schon angedacht? Schreiben Sie alle hier auf diese Kärtchen!»

Mutter: «Kind, was willst Du am Bahnhof? Halt Dich an Deine Familie!»

Neurolinguistischer Programmierer: «Stell' Dir vor, Du bist schon im Bahnhof. Welche Schritte hast Du zuvor getan?»

Neurologe: «Sie haben also die Orientierung verloren. Passiert Ihnen das öfter in letzter Zeit?»

Pädagoge: «Ich weiß natürlich, wo der Bahnhof ist. Aber ich glaube, daß es besser für Dich ist, wenn Du es selbst herausfindest!»

Politiker: «Gerade in Bezug auf diese Frage haben wir im Gegensatz zur Opposition und im übrigen auch in voller Übereinstimmung mit unserem Parteivorsitzenden, dem Parteivorstand und den zuständigen Gremien überall draußen im Lande, immer ein offenes Ohr für alle Fragen und Belange, die unsere Bürger betreffen, und dies auch gerade in den neuen Ländern!»

Priester: «Heiliger Antonius! Gerechter Mann! Hilf, daß er ihn finden kann!»

Psychiater: «Seit wann bedrängt Sie diese Frage?»

Psychoanalytiker: «Sie meinen dieses dunkle Gebäude, wo die länglichen Züge immer rein und raus fahren?»

Psychodrama-Therapeut: «Zum Bahnhof? Fein. Das spielen wir doch gleich mal durch. Geben Sie mir Ihren Hut, ich gebe Ihnen meine Jacke und dann…»

Provokanter Therapeut: «Ich wette, Sie werden den Weg zum Bahnhof nie finden!»

Reinkarnationstherapeut: «Geh zurück in der Zeit, bis vor Deine Geburt! Welches Karma läßt Dich immer wieder auf die Hilfe anderer angewiesen sein?»

Sozialarbeiter: «Ich weiß nicht, wo der Bahnhof ist, aber ich fahr' Dich eben schnell hin.»

Sozialpädagoge: «Du, das weiß ich auch nicht, aber ich finde es total gut, daß wir beide so offen darüber reden können.»

Soziologe: «Bahnhof? Zugfahren? Sie? 1. oder 2. Klasse?»

Systemiker: «Was glauben Sie, bedeutet es für Ihre Frau, wenn sie erfährt, daß Sie zum Bahnhof wollen? Und was glauben Sie, wird ihre Schwiegermutter vermuten, was ihre Frau sagen würde?»

Systemischer Strukturaufsteller: «Wählen Sie einfach unter den Vorübergehenden jemand aus für den Bahnhof! Was ändert sich für Sie, wenn Sie sich ihm nähern? Gibt es vielleicht etwas dabei, um das es eigentlich auch noch geht, außer dem Weg zum Bahnhof?»

Tiefenpsychologe: «Sie verspüren wieder diesen Drang zu reisen?»

Trendscout: «Endgeile Frage! Da mach' ich ein Super-Feature draus!»

Verhaltenstherapeut: «Heben Sie zuerst den rechten Fuß, strecken Sie ihn aus, schieben Sie ihn nach vorne, und setzen Sie ihn wieder auf! Gut! Hier haben Sie ein Bonbon.»

Vox populi (Ruhrgebiet): «Zum Bahnhof? Da gehse ersma die zweite Ampel links, dann wieder rechts, bis dahin, wo früher der Aldi war, dann an der neuen Baustelle vorbei, und wenne da von runter komms frachse nomma nach!»

Zeitplanexperte: «Haben Sie überhaupt genügend Pufferzeit für meine Antwort eingeplant?»




Erstellt: 6. September 2000 - letzte Überarbeitung: 20. Juni 2001
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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