BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Das pädagogische Gewissen - Stimmen (2):
Das ‹Prometheus-Paradigma›» von Tom B.
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Guten Tag liebe Leser!

Heute bieten wir Ihnen einen ganz besonderen Blick in den Alltag an deutschen Schulen, denn wir schalten live in ein Gymnasium im schönen Freistaat Bayern, an dem drei eifrige Lehramtsstudenten ihr Praktikum absolvieren. Es ist kurz nach der ersten Stunde, die unsere Helden mit den Mitteln des preußischen Volksschullehrers um 1900 bestritten haben. Nun folgt eine Englischstunde, was alle Praktikanten daran erkennen konnten, daß die entsprechenden Bücher während der ersten Stunde bereits auf den Tischen lagen und das ungeteilte Interesse der Schüler auf sich zogen. Warum auch nicht? Politische Bildung ist schließlich nichts, was man später brauchen könnte, aber der Test nächste Woche - über die Vokabellage um das englische Parlament - ist immens wichtig.

Nun richten wir unseren Fokus auf die sich nähernde und durchaus noch nicht verkrustete Englischlehrerin, die gerade einem Studenten, unter anderem auch ihres Faches, diese weisen Worte - kurz vor Unterrichtsbeginn - mit auf den Weg gibt: «Alles was ich an der Uni gemacht habe, hat mir für mein späteres Berufsleben gar nichts gebracht.»

In einer Gefühlswallung aus Schock und Ekel widerspricht der Student und bekommt von seinem dabei stehenden Praktikumsleiter, einem Menschen, der an der Vollerfüllung des Wortes ‹Relikt› arbeitet, die lakonische Antwort: «Das meinen sie jetzt ironisch oder?»

Nein, das meint er nicht, denn Gott und das Kultusministerium, in Bayern als Personalunion vorhanden, haben ihn ja wohl nicht umsonst an die Universität, den Hort des kritischen Denkens geschickt. Schließlich muß man als Lehrer, so die Argumentation, tieferes Wissen um sich ‹selbst› haben, weswegen man zwar teilweise für das Studium nur marginal nutzbare Sachen studiert, aber sich selbst doch wenigstens bildet. Sprachwissenschaft zum Beispiel mag zwar kein Thema für den Anfangsunterricht sein, aber nachdem man mehrere Stunden ICE gefahren ist und seltsame Ansagen gehört hat, wünscht man sich, daß die Grundbildung in der Englischen Sprache doch auch eine Ausspracheschulung beinhalte. Die steht auch im Lehrplan, aber das braucht einen Hintergrund in Phonetik, der entsprechenden Teildisziplin der Sprachwissenschaft. Die steht, oh Wunder, auch in der entsprechenden Prüfungsordnung.

Aber Papier ist natürlich geduldig und «alles, was man an der Uni lernt, hilft im späteren Leben gar nichts». Was soll das? Was ist das für eine Vorstellung? Vielleicht diese: Theorie kann und darf keinen Einfluß und Rückfluß auf die Praxiskompetenz des Lehrers haben, denn der Lehrer ist immun, er ist in einem Vakuum seiner eigenen Kompetenzkompetenz gefangen, nur er allein ist der Hort des Wissens und die Quelle der allgemeinen Weisheit, die sich seit seinem Staatsexamen übrigens nicht geändert haben kann. Denn mit dem Zeugnis empfängt man gleichzeitig die Allmacht über alles Wissen in der Welt. Der Lehrer wird so zum «modernen Prometheus» und nur seine allmächtige Flamme wärmt.

Doch ach, ist das nicht eigentlich schon Vergangenheit? Die Schüler werden immer frecher, der Leistungsdruck wird immer größer und die Schnösel von Akademikern spucken einem mit perversen und illusorischen neuen Konzepten, wie Gruppenunterricht oder kommunikativem Unterricht in die Suppe. Unter uns: Diese Praktikanten wissen doch gar nicht, daß es nur Chaos geben kann, wenn die Aufmerksamkeit, die Kontrolle und die Macht nicht im Lehrer gebündelt sind.

Ja, das Prometheus-Paradigma hält alles zusammen. Verläßt man es, kann der bedrohliche Gedanke auftauchen, daß alles, was einem als Lehrer Selbstwert gegeben hat, die Illusion der Allmacht und des Wissens war, die man aber beide weder ausleben noch vermitteln kann. Schon beim Pausenklingeln scheitert man daran, daß man eigentlich keinerlei Kompetenz außerhalb des Befehls zum Öffnen und Schließen der Bücher hat, die einem das Denken abnehmen.

Doch keine Sorge, die meisten Lehrer sind gegen Selbstreflektion immun, und so wird das von ihnen auf der Universität Gelernte vergessen und die Unsicherheit des eigenen Wissens verdrängt. Ja, als Student, hat man die verschiedenen Theorien und Paradigmen noch als Möglichkeiten gesehen, aber dann, im Praktikum, wird einem ein Lehrerbild als erstrebenswert vorgeführt, welches einmal zusammen mit Wangenkoteletten und Pickelhauben aus der Mode kam.



Erstellt: 27. März 2007 - letzte Überarbeitung: 30. März 2007
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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