BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Appell an die Herrscher von Bullshit-Mountain [1] In Anlehnung an den Komiker John Stewart, der im amerikanischen Wahlkampf 2012 die Betreiber von Fox News als „Einwohner von Bullshit-Mountain“ bezeichnete.»
von Werner Murke
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Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind hier alle einer Meinung, dass die Psychologische Psychotherapie Probleme hat. Wir wissen: Der Psychologischen Psychotherapie stellen sich wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Fragen, auf die sie bis heute keine befriedigende Antwort gefunden hat. Sie hat praktische Probleme, die noch nicht gelöst sind.

Worüber wir uns nicht einig sind, ist die Reichweite dieser Probleme, ihre Ursachen. Und manchmal streiten wir schon über die Benennung dieser Probleme. Ich glaube, wir haben sehr komplexe Probleme in der Psychologischen Psychotherapie. Und wir haben sie seit die Psychologie aus der Idee geboren wurde, die Philosophie bedürfe einer physiologischen Basis ihrer Erkenntnisansprüche.

Was in der Psychologie falsch läuft, ist nicht, dass sich ihre therapeutisch tätigen Praktiker von einer wissenschaftlichen Fundierung der Praxis abgewandt haben. Womit wir es wirklich zu tun haben, ist ein Konstruktionsfehler in der Herangehensweise an diese Probleme. Und der Grund dafür, dass wir damit so große Schwierigkeiten haben, ist, dass ein guter Teil der heute tätigen Psychologen ein Paralleluniversum erschaffen hat. In diesem Paralleluniversum werden Durchschnittspatienten von Durchschnittstherapeuten mit durchschnittlich am besten bewährten Methoden im Durchschnitt am besten behandelt. In der dort geltenden Logik lassen sich Durchschnittstherapeuten durch Anweisungen aus dem Paralleluniversum zu Master-Therapeuten und Super-Shrinks ausbilden – wenn sie nur die dort erzeugten wissenschaftliche Ergebnisse „zur Kenntnis nehmen“. Und das größte Problem, das die in diesem Alternativuniversum tätigen Wissenschaftler zu lösen haben, ist, die störrisch uneinsichtigen Psychotherapiepraktiker dazu zu bewegen, ihre parallelwissenschaftlichen Veröffentlichungen gründlich zu lesen und auswendig zu lernen.

Ich taufe das Paralleluniversum, in dem diese Leute leben – in Anlehnung an einen der dortigen Säulenheiligen, der immer wieder von den „Datenbergen“ sprach, die er zur Verbesserung der psychotherapeutischen Praxis zusammengetragen habe – „Bullshit-Mountain“.

Die Einwohner von Bullshit-Mountain glauben viele Dinge. Sie glauben, die besten Erkenntnisse über Psychotherapie ließen sich durch größtmögliche Abstraktion von der tatsächlichen Praxis konkreter Psychotherapeuten gewinnen. Sie glauben an die Existenz von Wirkfaktoren, deren therapeutische Power sich anzapfen lässt wie Strom aus der Steckdose. Weil sie allen Ernstes der Überzeugung sind, das therapeutische Gespräch sei ein Störfaktor der Psychotherapie, versuchen sie Psychotherapeuten dazu zu zwingen, Probleme und Erfolge ihrer Patienten mittels standardisierter Fragebögen zu erfassen. Auf Bullshit-Mountain glauben sie, die Weiterentwicklung der Psychotherapie sei im wesentlichen der Psychotherapieforschung zu verdanken und nicht den Schulengründern Freud und Rogers und Ellis und Beck und deren Nachfolgern. Sie glauben psychologische Probleme ließen sich behandeln wie ein kaputtes Knie und gesündere Überzeugungen könne man in Patienten einpflanzen wie eine neue Niere.

Nur leider ... weil die Praktiker nicht anerkennen, was das Paralleluniversum für sie erkannt hat, erreicht die Psychologische Psychotherapie heute nicht die „Effektstärken“, die sie hätte erreichen können. Deswegen ist Bullshit-Mountain ein einsamer Ort. Und, wir haben noch gar nicht von den Unwettern auf Bullshit-Mountain gesprochen. Oh, sie wüten, wenn die dort erzeugten Hochdruckgebiete sich nicht ausbreiten können: Das kann nur an der „Selbstbezogenheit“ der Praktiker liegen, die Informationen wie an Teflon abperlen lässt! Psychotherapeuten tragen aus Bequemlichkeit zur „Misere der Psychotherapie“ bei und betreiben statt solider Wissenschaft eitle „Kunst“!! Und all das, weil irgendwo, irgendwann die meisten Psychotherapeuten zu der Erkenntnis kommen, dass die auf Bullshit-Mountain erhaltene Ausbildung leider zur therapeutischen Tätigkeit nicht annähernd ausreichend ist.

Ich stehe heute hier, um an die Herrscher von Bullshit-Mountain zu appellieren: „Sprechen Sie mit ihrem Volk!“ Bevor wir uns nicht auf eine oder mehrere gemeinsame Sprachen einigen können, die unsere Arbeit sinnvoll beschreiben, werden wir zu keiner Lösung kommen. Auf Bullshit-Mountain werden unsere Probleme überproportional aufgeblasen und die Lösungen übermäßig vereinfacht: „Wir treiben therapeutische Spielchen, wo doch die richtige Behandlung bereits bekannt ist!“, „Wenn wir den Psychotherapeuten keine Richtlinien vorschreiben, behandeln sie Panikattacken mit Silbernitrat!“, „Und die Lösung liegt in der Abschaffung von Therapieschulen und Theorie!“ Aber lassen Sie mich Ihnen sagen: Das ist keine Lösung.

Deswegen hoffe ich, werden Sie heute von Ihrem Berg herabsteigen und wieder unter den Menschen leben. Sie können von uns lernen, wie wir arbeiten und Sie können uns zeigen, wie Sie arbeiten. Und dann wird sich zeigen: Wissenschaftliche Psychotherapie hat wenig gemein mit Bergen – und viel mit einem Tanz.

Vielen Dank!



Erstellt: 10. Januar 2013 – letzte Überarbeitung: 14. Januar 2013
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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