BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Suchtmythen»
von Helmut Hansen
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1 Einführung

Vor ein paar Wochen gab es in der Presse einen Aufschrei. Nein, nein, es ging nicht um das übliche politische Taktik-Gezeter, auch nicht um die von einer Schmierlappenzeitung forcierte moralische Vernichtung eines mißliebigen Politikers, sondern es begab sich aber folgendes: Ein Professor sagte in einem Medium, er habe Zweifel, ob das Abstinenzgebot bei ‹Alkoholabhängigen› wirklich so vernünftig sei. Und ob man nicht mal ausprobieren könne, ‹Alkoholabhängige› zum ‹kontrollierten Trinken› zu bewegen». Na, da war aber was los, lieber Leser, liebe Leserin. Da hatte jemand in ein Wespennest gepiekt und sich doch einfach über die derzeitigen Mythen und Ur-Plausibilitäten seines sozialen Makro-Raumes hinweg gesetzt! Das geht nicht. Man kann nicht mißachten, was die Mehrheit, was ein jeder weiß. Die Konsequenz war also zu erwarten: Alle, wirklich alle, die da meinen, etwas von ‹Suchtproblemen› zu verstehen - also insbesondere Ärzte, Sozialarbeiter und Laien - riefen als Antwort auf diese unsägliche, im wahrsten Sinne des Wortes also unsagbare, Meinungsäußerung im Chor: «Das ist aber ganz falsch!»

Seltsamerweise zeitgleich mit dieser kollektiven Aufregung waren allüberall in den Städten große Werbeplakate mit folgendem Text zu sehen: «Alkoholismus ist keine schlechte Angewohnheit. Es ist eine Krankheit.» Aussteller dieses populären Glaubensbekenntnisses war und ist ein Verein mit dem Namen ‹Blaues Kreuz - Suchtkrankenhilfe›. Und auf den großflächigen Plakaten heißt es dann weiter: «Wir helfen alkoholkranken Menschen, bitte helfen Sie uns.» Es folgt die Nummer eines Spendenkontos.

Bevor wir weiter gehen im Text, halten wir einen Augenblick inne und fragen uns, ob das stimmen mag, daß Alkoholismus eine Krankheit ist. Schauen wir also in ein Online-Lexikon: «Das Bundessozialgericht erkannte 1986, daß es sich bei Sucht um einen ‹objektiv faßbaren Zustand› des Körpers und des Geistes handelt, ‹der von der Norm abweicht und der durch eine Heilbehandlung behoben, gelindert oder zumindest vor einer drohenden Verschlimmerung bewahrt werden kann›. Sucht ist demnach also eine Abhängigkeitserkrankung und kein schuldhaftes Laster ‹haltloser› und ‹willensschwacher› Charaktere. Jeder kann süchtig werden, denn es gibt keinen absoluten und schon gar keinen lebenslangen ‹Schutz› vor der Sucht.» [1] © Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2004Aha, es ‹stimmt› also, sogar im Namen des Volkes.

Wenn es in einer Kultur handlungsleitende Meinungen und ‹Überzeugungen› gibt, die - mit äußerst geringen Ausnahmen - von allen normalen und vernünftigen Menschen des Makrosystems geteilt werden, wird es für soziale Konstruktivisten interessant. Denn sofort stellt sich die Frage, woher alle das wissen, was sie da wissen? Hat der ‹common sense›, der gesunde Menschenverstand, eigene erkenntnistheoretische oder wissenschaftstheoretische Modelle, die ihn dazu bewegen, sich seiner Meinungen und Überzeugungen sicher zu sein? Sind hier unbestreitbare, empirische, wissenschaftliche, harte Daten erhoben worden, die zu dem unausweichlichen ‹Befund› führten: «Alkoholismus ist keine schlechte Angewohnheit. Es ist eine Krankheit»? Nein, nein, keine Übereilung, mit empirischen Daten hat diese Plausibilität nichts zu tun. Aus konstruktivistischer Perspektive kann ja eine ‹Empirie› immer nur der Vorstellungskraft des jeweiligen Wissenschaftlers folgen. Und da ja alle zukünftigen Forschungsergebnisse zum Alkoholismus von einem höchsten Gericht bereits vorweg genommen wurden, geht es nicht mehr um ‹Empirie›, sondern um das Grundmodell, das Paradigma, die Grundvorstellung, kurz, es geht um die Mythen, die hinter den Forschungen und Überlegungen zur Sucht stehen. Daß Alkoholismus eine schlechte Angewohnheit sein könnte, ist derzeit nicht denkbar. Also denken wir ein wenig über das Undenkbare nach.

Eine kleine Vorbemerkung noch: Ich möchte im folgenden Diskurs nicht auf die unsäglichen Generica des Meinens und Urteilens im Alltag zurückgreifen. Ich möchte auch nicht eine konstruktivistische Kritik am naiven Realismus und Positivismus in den derzeitigen Wissenschaften wiederholen. Schauen Sie dazu, lieber Leser und liebe Leserin, in die entsprechenden Traktate der Sektion «Wahrheiten und Wirklichkeiten» des Skepsis-Reservates. Statt dessen werde ich mit Ihnen lieber über die Konsequenzen eben dieser Aussage «Alkoholismus ist keine schlechte Angewohnheit. Es ist eine Krankheit.» nachdenken: Welche Auswirkungen hat das, sich so über den Hintergrund und die Ursache des Phänomens «Sucht» im klaren zu sein? Was bewirkt dieser spezielle Mythos von der Sucht, sei es Alkoholsucht, Drogensucht, Spielsucht, Gewaltsucht etc.? Das schauen wir uns an.


2 Ein Suchtmythos und seine Konsequenzen

Dem oben skizzierten Suchtmythos folgend ist eine der wichtigsten Initialhandlungen von Ärzten, Sozialarbeitern und Laien im Umgang mit Süchtigen, ihnen das Eingeständnis abzufordern, daß sie krank seien. Wird diese ‹Krankheitseinsicht› vom ‹Kranken› anmutig und in wirscher Weise kundgetan, so wird der ‹Kranke› dafür sehr gerühmt und gelobt, da er damit die für die Behandlung seiner ‹Krankheit› zwingendst erforderliche ‹compliance› gezeigt habe und nun einer erfolgreichen Therapie nichts mehr im Wege stünde. Tja, aber wohin führt die Einsicht, daß man krank sei?


2.1 Sekundärer Krankheitsgewinn

Seit Freud gibt es die Idee, daß Menschen, die krank sind, von eben dieser Krankheit auch profitieren, also einen Gewinn davon haben. Dieser so genannte «sekundäre Krankheitsgewinn» wird vor allem deutlich in einem spezifischen ‹Sich-gehen-lassen-dürfen›. In vielen Romanen der Weltliteratur werden zum Teil komplexe soziale Tableaus beschrieben, in denen Familienangehörige sich mit Hilfe von Krankheiten (wie Migräne oder einem Herzkasper) vor der Familie schützen und Schonung einklagen. Die soziale Logik dabei ist sehr einfach: «Ich bin krank, und deswegen kann ich jetzt dies oder das nicht mehr machen oder ertragen. Nehmt bitte Rücksicht darauf! Ich kann auch keine Verantwortung mehr übernehmen für dies oder das, denn ich brauche selbst Hilfe und Fürsorge.»

Übersetzt heißt das bei unserer hier diskurrierten Suchtthematik, nach erfolgreich eingeforderter ‹compliance›: «Ich bin krank, deswegen trinke ich (nehme Drogen, spiele, verprügele ‹fremde› Fans). Weil ich krank bin, kann ich nix dazu, daß ich so bin, wie ich bin, oder das tue, was ich tue. Ich muß mich auch nicht für das schämen, was ich mit meinem oder anderer Leute Leben anrichte, denn ich bin ja krank. Ich bin es, der Hilfe braucht! Also bin ich entschuldigt!»

Der sekundäre Krankheitsgewinn bei Süchten und Abhängigkeiten ist in aller Regel sehr groß. Und das gesellschaftlich vermittelte Bewußtsein einer Schuldlosigkeit am eigenen Tun, die Dauer-Exkulpation also, ist wohl der gravierendste Punkt. Und Süchtige lernen sehr schnell, auf sozialen Klaviaturen zu spielen, Angehörigen und Bekannten Vorwürfe zu machen und denen die eigene Sucht anzulasten. Tja, und in dem äußerst populären ‹common sense› von Sucht kann man eben diese nur überwinden, wenn man sich abstinent verhält. Das weiß jeder, auch der Süchtige. Aber da er ja nun einmal krank ist, wie soll er dann eine Abstinenz anstreben können? Oder gar eine ‹Kontrolle› seines Trinkens. Alles oder nichts.


2.2 Unterstützung der Sucht

Kranke brauchen Hilfe, benötigen Unterstützung und Fürsorge. Vertreter des ‹common sense›, also hier meist Sozialarbeiter und Laien, sorgen nun dafür, daß die Suchtkranken bei der Realisierung ihrer Sucht nicht unnötig gestört werden und alle Unterstützung erhalten, derer sie bedürfen: Drogenabhängigen wird ermöglicht, stressfrei und in einem angenehmen Ambiente Drogen (oder Ersatzdrogen) einzunehmen; gewaltsüchtige Hooligans werden von Fanbeauftragten und Sozialarbeitern zu Auswärtsspielen begleitet (Falls es dort - es gilt immerhin zu bedenken, daß die Leute krank sind - zu den erwarteten Prügeleien kommt, werden die ‹Kranken› auf das Polizeirevier begleitet, Anwälte werden verständigt etc.); Angehörige beschaffen die notwendigen größeren Vorräte für Alkoholabhängige; kurz Sozialarbeiter und Laien versuchen, den ‹Süchtigen› Scherereien zu ersparen. Sie können ja nix dazu. Wer jetzt? Beide.

Da Süchtige in dem hier strapazierten Paradigma krank sind, muß unsere Gesellschaft ihnen die Chance einräumen, auch weiter krank sein zu dürfen. Mit dem Wunsch nach einer Veränderung des Suchtverhaltens darf man den ‹Süchtigen› nicht kommen. Gemäß der Meinung der Mehrheit der Menschen in unserer Pólis müssen Süchtige erst ‹ganz tief sinken›, ja ‹in ihrem eigenen Dreck auf dem Boden liegen›, bis sie - vielleicht einmal - auf die Idee kommen, ihr Suchtverhalten zu ändern. Normal ist aber, daß sie eben nicht aufhören können, schließlich sind sie ja krank. Auf keinen Fall aber darf man Süchtige hart anfassen oder gar bestrafen, nein, ganz im Gegenteil, Süchtige brauchen Verständnis, ja man muß ihnen - wie oben gezeigt - alle Mühen abnehmen, damit sie sich auf eines konzentrieren können, ihre Sucht. Ist das klar?


2.3 Self-fulfilling-prophecies

Wenn Sucht eine Krankheit ist, die man sein ganzes Leben lang in sich birgt, von der man nie geheilt werden kann, für die es eben keine Theapie gibt, und wenn Abstinenz die Krankheit immer nur anhält und sistiert, aber eben nicht beseitigt, dann werden interessante ‹Sich-selbst-erfüllende-Prophezeiungen› eingerichtet. Schauen wir in eine der berühmten Selbsthilfegruppen. Hier lernen ‹Süchtige›, daß sie - siehe oben - zu allererst eine Krankheitseinsicht zu zeigen haben. [2] Ja, hier lassen Laien nicht locker, da werden Laien zu Ärzten. Und das zweite zu Lernende ist, daß nur die absolute Abstinenz gegen diese lebenslang währende Krankheit helfe. Dies heißt aber auch, daß jede Suchtstoffeinnahme, und sei es auch nur in homöopathischer Dosierung, zu einem sofortigen ‹Kontrollverlust›, damit zu einem schlimmen Rückfall und schließlich zu einem Vollbild der Krankheit führen werde. Süchtige seien süchtig ihr Leben lang, sagt Volkes Stimme. Deswegen stellen sich Süchtige in den Selbsthilfegruppen auch regelmäßig so vor: «Ich heiße Helmut. Ich bin Alkoholiker. Und ich weiß, daß die nächste Cognacbohne mein Verderben sein wird.»

Deutlich wird also, daß die populären Suchtmythen Rückfälle direkt verschreiben, provozieren und herstellen. Wir können sogar noch weiter gehen: Wer in seiner Sucht keine Rückfälle produziert, war eigentlich nicht richtig krank. Damit meine ich, daß man seinen Selbstwert auch aus der Hartnäckigkeit einer Krankheit schöpfen kann, wenn andere Wertschöpfungsmöglichkeiten fehlen.


3 «Die kompakte Majorität» [3] In Henrik Ibsens Schauspiel «Ein Volksfeind» von 1882 ruft im vierten Akt der von seinen Mitbürgern als ‹Volksfeind› bezeichnete Badearzt Doktor Thomas Stockmann eben diesen seinen Mitbürgern zu: «Denn das ist ja die große Entdeckung, die ich gestern gemacht habe. (Mit erhobener Stimme) Der gefährlichste Feind der Wahrheit und Freiheit bei uns - das ist die kompakte Majorität. Jawohl, die verfluchte, kompakte, liberale Majorität, - die ist es! Jetzt wißt Ihr's!» (Ungeheurer Lärm im Saal.)

Wie sollen wir diesen kleinen Ausflug zu den in unserer Kultur weit verbreiteten Mythen der Sucht beenden? Beginnen wir mit einem sehr beruhigenden und wohltuenden Gedanken: Wenn eine Mehrheit von Menschen in einem Makrosystem, ja wenn gar alle Menschen in einem Punkt ein- und derselben Meinung sind, dann heißt das weder, daß diese Meinung richtig ist, noch, daß sie etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, noch, daß diese Meinung positive Auswirkungen für das Gemeinwesen, die ‹Pólis› hat. Zyniker wie Nicolas Chamfort (1741 - 1791), dessen Aphorismen schon verschiedene Traktate des Skepsis-Reservates schmücken, aber auch viele andere Autoren zweifeln, ob eine Meinung eine Wirklichkeit abbilden kann, wenn ‹eine kompakte Majorität› diese Meinung vertritt. Chamfort sagt: «Man kann wetten, daß jede öffentliche Meinung, jede allgemeine Konvention eine Dummheit ist, denn sie hat der großen Menge gefallen.» [4] Nicolas Chamfort (1987): Ein Wald voller Diebe. Maximen, Charaktere, Anekdoten. Die Andere Bibliothek. Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Band 31. Nördlingen: Franz Greno. Seite 40. Das ist das eine.

Nun zu einem zweiten Punkt: In unserer Kultur gelten Süchte als Krankheiten, nicht als schlechte Angewohnheiten. Führt diese Grundüberzeugung, dieser Mythos zu positiven Konsequenzen? Wenn wir uns an die drei oben genannten Punkte des 2. Kapitels erinnern, wohl eher nicht. Was aber wäre, wenn das «Sucht-als-Krankheit-Paradigma» gar nicht stimmen würde? Was dann? Ließe sich das überhaupt ‹feststellen›? Vermutlich nicht, wenn wir daran denken, daß die ‹Befunde› empirischer Forschungen, wie oben erwähnt, zum einen immer von den kognitiven Möglichkeiten des Forschenden eingeschränkt werden und zum anderen immer nur an den kommunal eingerichteten Halteseilen des ‹common sense› ausgerichtet sein dürfen.

Sollten wir vielleicht nicht dennoch ein anderes Paradigma - wie das eingangs erwähnte, das allseits niedergeschrieene - ausprobieren, mit all' seinen Konsequenzen? Tja, wäre nicht schlecht. Aber dazu wird es nicht kommen. Die kompakte Majorität steht. Überall und immer.

Noch ein Gedanke zum Schluß: Vom ‹common sense›, vom gesunden Menschenverstand ist noch niemals eine Anregung gekommen, wie übliche kommunale Plausibilitäten zu überwinden wären. Wenn man meint, was die große Mehrheit aller normalen und vernünftigen Menschen meint, wenn man sagt, was alle sagen, dann ist man im äußersten Fall und bei äußerster Anstrengung nur zu einer ‹Innovation› fähig. Diese basiert dann aber eben nicht auf der Überschreitung einer Systemgrenze, sie beinhaltet keine Veränderung des Blickwinkels, keinen Paradigmenwechsel, sondern sie befaßt sich immer nur mit der Neugestaltung eines Funktionierens von Teilbereichen in bereits plausibel begründeten Funktionssystemen. Damit dient die ‹Innovation› allein der Steigerung von Effizienz und Produktivität innerhalb eines festgelegten System-Rahmens. Halten wir das fest: Innovationen optimieren lediglich Bestehendes. [5] Deswegen ist ja auch das Vorschlagswesen in Betrieben so beliebt. Kluge Arbeitnehmer denken ständig darüber nach, wie ein Produkt noch schneller und noch billiger hergestellt werden könnte. Bis sie - in diesem Kontext überaus folgerichtig - dem Unternehmen endlich den Vorschlag einer allumfassenden Arbeitsverdichtung machen, der sie selbst zum Opfer fallen. Auch eine Art von ‹compliance›. Oder ist das gar eine Krankheit? Sie rühren nie an die Mythen selbst. Unbeweglichkeit. Auch hier.



Kommentare


21. Februar 2004

Lieber Helmut,

ich habe in meinem Beruf viel mit Süchtigen zu tun und Dein Text über die «Suchtmythen» trifft mitten hinein in ein großes Problem: Pausenlos wird ‹Alkoholgefährdeten› - ich will diese Leute mal so bezeichnen - eingeredet, die einzige Lösung für ihr Problem sei die völlige Abstinenz. Und daß damit die meisten Drehtür-Karrieren vorgezeichnet sind, das hast Du ja genau beschrieben.

Was mich immer wieder erstaunt, und weswegen ich heute dies schreibe, ist, wie - von wirklich allen Seiten - die Lehre von der Abstinenz für wahr gehalten wird. Und was common sense geworden ist, was zum Plausibilitätenschatz beinahe aller Menschen gehört, das muß in den Medien immer wieder aufgesagt werden, um nachhaltig im Volksmund bleiben zu können.

Regionalzeitungen zeichnen sich ja dadurch aus, daß sie das schreiben, was alle Leser auch schreiben würden, könnten sie denn schreiben. In der WAZ des Ruhrgebietes gibt es so regelmäßig eine Kolumne eines Dr. med. Hanns H. Wenk. (Nur nebenbei: In dieser Kolumne wird bei fast allen Gesundheitsproblemen des Alltags dringend empfohlen, Abweichungen der Befindlichkeit niemals auf die leichte Schulter zu nehmen und möglichst bald einen Arzt aufzusuchen.)

In der Ausgabe der WAZ vom 20. Februar 2004 hakt die ratternde Plausibilitätsschleuder des Dr. med. Hanns H. Wenk beim Thema «Süchtig nach Alkohol» ein. Tja, und es war naturgemäß zu erwarten: Den Text schmückt nicht ein einziger Gedanke, statt dessen lesen wir die tausendste Wiederholung dessen, was alle wissen: «Es genügt bei Alkoholikern [...] nicht, nur zu einer Änderung der Trinkgewohnheiten zu raten oder nach einer Pause wieder Alkohol in kleinen Mengen zu erlauben. [...] Der alkoholkranke Patient muss akzeptieren: Anerkennung der Alkoholabhängigkeit als Krankheit; [...] absoluter Verzicht auf jeglichen weiteren Alkoholgenuss.»

Und dann - als sei das nicht genug - wird die Mythe noch einmal wiederholt: «Grundregel für Alkoholkranke: [...] Sich zur Alkoholkrankheit bekennen und auch bei gesellschaftlichen Anlässen zu keinem Schluck animieren lassen, da sonst der Teufelskreis der Alkoholabhängigkeit aufs Neue beginnt.»

Woher weiß Dr. med. Hanns H. Wenk das? Und was lernt ein «Alkoholkranker» aus diesem Text? Nun, das läßt sich leicht sagen: «Nach dem nächsten - auch nur winzigsten - Schluck Alkohol darf ich so viel trinken, wie ich möchte, denn ich bin ja krank und so ohne jede Eigenverantwortung.» Fein.

Ach, Helmut, Du sagst es: «Unbeweglichkeit. Auch hier.»

Traurige Grüße von

Daniela

P.S. Warum fordern Mediziner immer eine Krankheitseinsicht? Weil anders die erwünschte Compliance nicht durchzusetzen wäre? Compliance bedeutet auf Deutsch: Zustimmung, Unterwürfigkeit und Willfährigkeit.



Erstellt: 22. Januar 2004 - letzte Überarbeitung: 23. Februar 2004
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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