BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Schrödingers Katze geht einkaufen»
von Claudia Drenda
Als PDF-Datei laden

Disposition

Grad hatte ich ein paar schöne Tage lang Fernsehen geguckt, eine Tüte Science Fiction Geschichten und zentralistisch geschulte Klugscheißer gelesen und wollte arbeiten, frisch ans Werk, über den Unterschied zwischen dem Sprechen und der Sprache und mal schauen, wie das mit der Zentralrede von Bildern anmutig zu koppeln sei. Freundlich und dankbar dafür, dass massenweise Leute Kram machen, um den ich mich nicht zu kümmern habe und drum vor mich hindaddeln kann wie ich grad mein' zu müssen.

Ich baue also meine Arbeit auf und verschwinde im Monitorleuchten. Draußen Nichtwetter. Eine Verfaßtheit. Rund. Fehlt nur noch ein Kaffee. Keine Kaffee mehr da. Gut, einen Tee. Kein Tee. Schon dabei, durch die Wohnung zu tigern, stelle ich umgelenkt fest: meinem feinen Plan im Weg steht meine gähnend leere Vorratskammer und ich habe, wenig überrascht, prompt Bedürfnisse. Essen trinken rauchen schlucken kauen, nicht nüchtern sein, Lust auf einen Kaffee und überhaupt ist bald Weihnachten. Das und die Vorstellung, ich müsse das Haus eventuell verlassen, wenn ich erst angefangen habe und könnte dabei den Faden verlieren, den ich dann schon habe, schreit nach Vorabkonsequenzen. Was heißt: einkaufen.

Vor meine Tür. Da raus. Nicht gut. Bochum ist nirgends groß genug, um das in Ruhe anonym über die Bühne bringen zu können. Ich weiß schon. Angerempelt, zugemüllt mit schlechten Texten und Meinungen Meinungen Meinungen im späten Morgengrauen. Das braucht kein Mensch. Ok. Nur die Ruhe. Ich erinnere mich, wie hier vor der Tür mir erzählt wurde, flauschig und durch die Einkaufszone zickzacklaufend, wie erstaunlich, wie schön, was ein Grund für echten Optimismus und Vertrauen in egal was das ist, Kultur Kultur nicht nur für die Katz, dass nicht alle Nase lang wer erschlagen wird unterwegs von irgendwem. Und ich fasse einen Plan: Bahnfahren. Ins fette Centro Oberhausen. Und bei der Gelegenheit gleich Weihnachtsgeschenke kaufen kaufen kaufen. So kann das gehen heute.


Scheitern

Um es vorweg zu nehmen. Ich wurde in der Scheiß Bahn angeglotzt, angequatscht, angelächelt, erzogen, zugetextet mit idealistisch verbrämten Gemeinwohl-Plätzen, belehrt und beschenkt von den besseren Menschen im Ruhrgebiet. Noch besten Mutes in einer humanistischen Kleinhölle wohlaufgehoben meine Wege einzuläuten eier ich zum Bahnhof. Meine Gedanken haltend und auf Schweigen eingestellt, werde ich am Bahnsteig auf Feuer angequatscht. Mit kleinem De geduzt bringe ich das hinter mich, noch nicht auf der Hut, und konter das unangemessen persönlich gestaltete «Danke» aus meinem Giftschrank mit einem: «Da nich für». Was die Aufmerksamkeit der Mitreisenden auf mich zieht und mich prompt verwickelt in ein dynamisch empörtes «Wofür denn dann?», das sich in die Bahn verlängert, in einer gemeinsam abgenickten Belehrung fußt, wie man mit Leuten umzugehen habe voller Beispiele aus aller Herren Länder und versöhnlich und zufrieden abschließt mit «du Weihnachtsmann», immerhin gerichtet an irgendwen ein paar Sitze weiter, der meine angebliche Position lautstark vertreten hat. Gelebte Demokratie. Ich wechsel den Waggon.


Abschweifung

Schon vergessend worum es ging und das zur Kenntnis nehmend stelle ich mich auf die neue Situation ein und wechsele von meinen Gedanken auf Haltung. Ein Lippenstift muß her. Der Plan war, die selbstgewisse Geschwätzigkeit der anderen für eine Beratung zu nutzen. Rot sollte er sein, Blutrot. Wie eine Wunde mitten in meinem Gesicht. Und nicht kußfest. Es ist fremd und aufgetragen und so darf er auch aussehen. Ich erinnere ein Gespräch, in dem gänzlich unerwartet eine unglaubliche Verkäuferin mich so klein mit Hut hatte in drei Minuten. Mit dem gleichen Anliegen. Striche auf ihren Handrücken ziehend hat sie sich erst erkundigt, in welchem Licht ich ihn einsetzen werde. Während ich noch nachdenke, erläutert sie und fragt dann «Bühnenlicht?». Und ich, wie eine Vorstadt-Professorengattin geschmeichelt, winde mich und überlege, ob aus dem Publikum Fragen stellen bei Podiumsdiskussionen wohl gilt. Dann auf das rot zurückkommend, mein Stichwort Blutrot aufsagend, kommt sehr sachlich: «Arterie oder Vene?» und sie zeigt mit zwei Fingern auf ihren Hals, pochen, und so unprätentiös kompetent, daß ich wiederum mich nicht traue, so oft schneide ich mich nicht, schon gar nicht in die Halsschlagader, das mir geläufige Blut anzuführen. Weiß doch ich nicht, aus welchem Kreislauf sich das speist. Das teure wunderschöne Lippenrot blieb nur eine Woche, gestohlen oder verloren, jetzt will ich ein neues.


Einkäufe

Angekommen weigere ich mich zu gucken, wo ich bin, dafür auch bin ich ja hergefahren, und gerate in einem aufgebrezelten Schweineladen an eine Dame, die sich mein Anliegen anhört, mir einen Tester in die Hand drückt, einen Blick auf meinen Mantel wirft und sagt: «Der ist rot, der passt zu ihrer Jacke.» Das war das.

Um es kurz zu machen: In der Unterwäscheabteilung in den Fängen einer wehklagenden Angestellten fegt mir deren Kollegin, fleischgewordene resolute Dummheit, ein: «Normaal kommt hier keiner mehr ab viertel vor sieben in die Kabine!» entgegen, so daß ich nur aufgrund meiner Versicherungslage nicht körperlich dafür sorge, daß sie noch was merkt und lieber meine Kaufkraft entziehe.

Willy, der singende Fisch konnte nur zwei Lieder, die der WG, bei der ich Weihnachten ausläute, nicht wirklich gefallen hätten. Und an zwei Kassen in Serie stoße ich auf strömende Freundlichkeit, während ich noch die Mordlust aus der Wäscheabteilung in den Knochen habe. Wohlwollen und Watschen, ein schon geschlossenes Lebensmittelgeschäft und die Rückfahrt vor der Brust, von der ich jetzt schon wußte, daß mich eher Geschwätzigkeit in aller Konsequenz erwartet als die versprochenen defizitären introvertierten Kreaturen, die zu übersehen mir ein Laubhüttenfest gewesen wäre an diesem albernen Tag.


Rückfahrt

Wieder am Bahnhof passe ich auf, bleibe nie lange stehen, setze mich ab. Nichtsdestotrotz komme ich nicht umhin. Zwei Mädchen auf Turmschuhen: «Egal», sagt die eine – «Nein», erwidert die andere, «zu spät. Egal war letzte Woche.» Banalität und Brillanz nur durch Tonfallfragen getrennt. Langsam weichgekocht setze ich mich weit weg von den beiden in die letzte Reihe eines Großraumwagens, nur Rücken, wähne mich noch in Sicherheit, während schon eine erwachsene Frau ungefragt anhebt, einen Hanuta Beipackzettel zu rezitieren, auf dem steht: «Wolleschäfchen auf der Weide machen allen Kindern Freude. Bah bah bah klingt's noch von fern. Kinder mögen Schäfchen gern.» Alles freut sich. Prompt fällt wem ein alter Duplo Zettelspruch ein, die lapidare Mahnung «Versuche dich nicht an den Dingen, die den dümmeren gelingen.» Es entfachen sich wieder wilde Debatten, diesmal darüber, ob man mit dem Wort Dummheit nur kontextualisiert arbeiten dürfe. Jemand findet, das dürfe man so ihrer Meinung nach nicht sagen. Was sei schon Dummheit. Irgendwer findet, das sei legitim in dieser Reduktion, wenn es Bewegung ermögliche. Wo man hinkomme, schaltet sich der Herr daneben ein, wenn man so lange rumrelativiere, sehe er an einem Sohnemann, mein lieber Freund und Kupferstecher, der die Nacht zum Tage und so weiter – unaufgeräumtes Leben, das jeder Idiot schon an dessen alberner Aufmachung lesen könne. Wenn er nicht … Bochum Hauptbahnhof, ich verzichte auf die U-Bahn und laufe lieber.

Ich denke an Jan Schüttes ‹Auf Wiedersehen Amerika›. An die Sätze: «A Paranoiker hat auch Feinde.» Und: «Geh da schlafen, wo du aufwachen möchtest.» Und ich weiß, ich will jetzt bald mal wieder da sein einfach, wo keiner einem vor die Füße läuft auf der Straße, weil jedem klar ist, dass man sich damit ernsthaft in Gefahr begibt. Meine Grundversorgung in eine Stadt verlegen, die nicht geprägt ist von gewachsenen Strukturen, die dazu führen, dass sich alle in Sicherheit wiegen. Ein intimes Bedürfnis, statt des legitimierten Gepummels Gesichter zu sehen auf der Straße, bei denen klar ist, da sitzt Struktur unter der Collagenschicht. Das war's für heute...



Kommentare:


23. Februar 2001

Liebe Claudia,
ich möchte der schönen Beschreibung Deines Treibens durch den gesellschaftlichen Raumzeitschaum meinen Beifall spenden. Zunächst kontrastiert der harsche Ton sehr schön die manchmal etwas zu weichgespülten Lyreleien der anderen Beiträge im Skepsis-Reservat. Und Deine Idee, daß Schrödinger-Problem in der Frage der Lippenstiftverkäuferin nach ‹Arterie oder Vene› zu kondensieren, ist ein fast genialer Kunstgriff. Eine solche Unterscheidung kann natürlich niemand außer einem Beobachter treffen. Wenn ich nicht zu schüchtern wäre, würde ich an dieser Stelle schreiben, daß ich diese Unterscheidung gerne treffen würde. Aber das mache ich nicht. Stattdessen möchte ich Dir eine meiner Lieblingsstellen aus Robert Anton Wilsons ‹Schrödingers Katze›-Trilogie schenken (Der Zauberhut, Abschnitt 63: Die Katze und der Hund):
«Manchmal verfasste Marvin Gardens auch Dialoge zwischen dem Pawlowschen Hund und Schrödingers Katze. Sie waren im allgemeinen kurz und erinnerten irgendwie an Zen-Geschichten:
Hund: Ich kann millionenfach beweisen, daß wir nicht frei sind.
Katze: Und ich kann beweisen, daß wir's sind.
Hund: Wie denn?
Katze: Wer fragt da wie denn?»

Ein nun wieder stiller Verehrer.



Erstellt: 21. Februar 2001 – letzte Überarbeitung: 23. Februar 2001
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
Alle Rechte vorbehalten.
Bitte senden Sie Ihre Kommentare zu diesem Text per E-Mail
an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.