BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Schrödingers Katze überlebt»
von Claudia Drenda
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Lebenszeichen

Es fällt mir nicht leicht, ein Lebenszeichen zu senden. Kann sein, es liegt daran, daß ich bei Gelegenheit gerne schön schreibe, so daß es sich angenehm liest. Aber das ist nicht der Punkt. Es ist so viel passiert, und so wenig. Und was ich denken kann und formulieren, scheint zur Zeit so gegenwärtig. Ich weiß nicht, woran ich anknüpfen soll. Denn Handfestes gibt es kaum zu berichten.

Inzwischen relevant entkoppelt von meinem alten zu Hause, stelle ich erstaunt fest: Ein neues brauche ich nicht. Oder das gibt es halt nicht. Da ist die Stadt, in die ich wollte und in der ich jetzt bin, woran mir jeden Tag etwas gefällt. Aber zu Hause, das bin ich, nur ich, das ist neu. Und dies mit meinem: ‹Wer ich?› Und daß es bestenfalls ein Gefühl von Identität gibt.

Unfreiwillig frei mache ich jede Menge Erfahrungen, was aber an sich nichts heißt. Nicht zu viele davon konnte ich brauchen unterwegs. Doch langsam fügt sich immer häufiger was zu einer Normalität oder einer Dynamik, ohne daß ich interveniere. Und das ist gut so.

Seit bald zwei Monaten arbeite ich an allerlei Texten, die jedoch im Ordner «Privat» landen und nicht in denen, die zu füllen wären. Viele Themen, kaum Brücken. Es sind eigenwillige Ziele, die ich verfolge. Mir soll gefallen, was ich sehe.


Stimmungen

Es war ein Überlebenskampf auf eine Art. Über einen Mangel an Erfahrungen kann ich nicht klagen. Viel dabei, was ich so genau gar nicht wissen wollte. Die Tage – auf dem Weg ins Ruhrgebiet – stand ich im Stau und habe telefoniert. Manchmal gehen die technischen Errungenschaften anmutig zusammen. Ich sprach mit einer alten Freundin, die sich erkundigte, wie es läuft, und ich sagte: «Bis auf die Liebe, meine Karriere und ein Geld ist eigentlich alles schön!» Und ein Lachen. Und das Wissen, daß es auch mit dem Wohnen immer noch hakt. Egal. Das waren die ersten Tage in Serie, in denen ich unerschütterlich heiter war ohne Gründe. Und ohne Gründe zu formulieren.

Die letzte Arbeitsrutsche ist mir erwartungsgemäß gut bekommen. Kaum Schlaf über sieben lange Tage, die letzten beiden so voll körpereigener Drogen, daß ich nicht mehr viel gecheckt habe. Sehr angenehm, wenn man nicht funktionieren muß, grenzwertig auf Baustellen, im Auto. Danach ausgeschlafen und direkt wieder hergefahren, hierher. Wie gut. Das Ankommen war richtig. Wurde Glück für ein paar Stunden, Tage, was leider die Heiterkeit ohne Gründe in die Schranken verwiesen hat. Auf einmal hatte ich wieder Gründe und wußte, wie es sich anfühlt, wenn es aufgeht, alles, was ich vage und entschieden angesteuert habe. Aber das geht zu weit insofern, als es nicht in meiner Macht liegt, daraus mein Leben zu machen. «Die anderen machen auch was.» Das war einer der Nebensätze, mit denen ich aufgebrochen bin. Et voilà.


Man hüte sich vor dem deutschen Ja!

Claudia und die Männer, der freundliche Plural. Gelegenheit macht Liebe, spricht der Volksmund. Und die letzte Gelegenheit war zu einem Zeitpunkt, an dem ich alles, was ich in die Finger kriegen konnte, in die Waagschale geworfen habe. Alles, was mir was bedeutet, war beteiligt an meiner behutsamen Bewegung, und zu allem Überfluß hatte ich auch noch die Poesie gestriffen, bevor ich diesen Mann geschrammt habe: «Wenn nicht mit ihm, dann mit dem Nichts vermählt», dieser Satz ist eine Sauerei von Brecht. Und Tränen im Auge vom eigenen Pathos. Nein, ich übertreibe. Aber ich bin etwas machtlos in dieser Angelegenheit. Zu gründlich war mein leichtfertiges «Ja», das sich einfach koppelt, an was mir so gut gefällt. Sehr schön und sehr ärgerlich. Weil ich nicht frage vorher. Das hält mich auf. Mein lapidarer Kommentar, ich müsse mal mein Verhältnis zur Metaphysik überprüfen. Statt dessen werde ich auch noch zutiefst romantisch in dieser Stadt, in der ich – gegen den Strom – Gelassenheit kommen lassen wollte, was mir früher und woanders vielleicht zu opportunistisch gewesen wäre, habe ich den Verdacht.


Denken

Bei Müdigkeit war ich zu traurig über Monate. Und statt zu denken habe ich erinnert und vergessen, was mir erst auffiel, als ich einmal zwanzig Stunden konzentrierte zielgerichtete Textarbeit machen mußte. Es hätte ein Halbtagsjob werden können in einem Büro für ‹Gender Studies›. Sie wollten eine Vita und eine Formulierung meines Bezuges zu dem, was sie den ganzen Tag machen. Am gleichen Tag noch. Rausgekommen ist eine Vita, die ging schon, aber sie war nicht zugeschnitten genug. Und in einer langen Nacht dann ein Runterkürzen viel Textes auf eine Seite. Ausgeschlafen wiedergelesen habe ich gesehen, daß da leider nur noch stand, ich spiele mit meinen eigenen Dateien und finde ‹Gender Studies› auch noch eine Unterabteilung dieser Aufmerksamkeit. Schade. Aber die Nacht war großartig.


Wetterfühlig

Den ganzen Winter lang habe ich jeden einzelnen entschieden kalten Tag genossen, jede Schneeverwehung hat mir Freude gemacht. Das wollte ich. Hier wohnen und einen richtigen Winter in dieser Architektur. Der alberne Frühlingseinbruch kam mir zu früh, wie gern wäre ich zeitgleich gestartet. Ich war noch nicht so weit. Aber langsam gewöhne ich mich an eine Verfaßtheit, in der man immer grade eben noch nicht alles beisammen hat und sich schon verhalten muß, wenn man nicht rausfallen will aus einem Geschehen, das einen auch mitnimmt, rückernährt.


Eine Frechheit

Etwas besorgt bin ich immer wieder über meine Sprache, die hier ungefragt thematisiert wird. Dauernd. Es gab nicht viele Gespräche, bei denen ich in Fahrt gekommen wäre, bei denen mir währenddessen etwas einfällt. Anfangs habe ich noch viel geredet. Zu irgendwem halt. Und gesagt bekommen, was den anderen einfalle dabei, daß etwas kostbar würde, Komplimente die ich mir in einer Indifferenzlage angehört habe. Was soll es mir. Es redete nur die ganze Zeit von einer Differenz zum Üblichen, während ich doch einfach sein wollte auch.

Hinzu kam, daß der Mann, den ich gern in meinem Alltag sehe, meine Sprache als Feiertagsvergnügen qualifiziert hat, etwas wofür man Zeit braucht, eine Flasche Rotwein am Ende noch und sich freuen kann, daß Claudia kommt und daß irgendwas schon passieren wird. Aber eben nicht als alltagstauglich, zu anstrengend dafür. Als könnte ich nicht sagen:« Ich auch!» Oder: «Einen Kaffee, bitte!»?

Ich bin empfindlich geworden. Was! ist mit meiner Sprache? Und wollte sie abspecken. Blöd. Immer wenn mein Sprechen angemessen ist, bin ich wieder woanders, wo sie nicht hingehört. Das ist aufwendig, aber es könnte gut sein, daß es so bleibt, also kann ich nur ruhig bleiben

Auf der letzten langen Autofahrt: Karl Kraus: «Ich will ja nicht mit meiner Ausdauer renommieren, aber einmal war ich zwei Tage in Chemnitz.» Das darf mich nervös machen. Solche Sätze, die sind umwerfend. Präzis. Die, ja. Aber nicht Qualifizierungen meiner Sprache am Wegesrand.


Bald

Ansonsten bin ich selbst gespannt, was ich tun werde. Ob ich einen Spielplatz finde für meine aktuelle Verfaßtheit oder – mich ändernd – wachse in noch mal andere Strukturen: Aus meinen peinlich aufgeräumten elf Quadratmetern, in denen immer Blumen stehen, und dem immerhin nicht heillosen Durcheinander meiner Prioritäten, aus meinen Möglichkeiten und Grenzen also hinein in eine Hoffnung, daß es vielleicht bald was Lustiges gibt, um meine Existenz zu sichern. Und ich bald vorrangig was anderes bemerke, als meine Verfaßtheit, jeweils.



Kommentare:


23. Februar 2002

Ferne,
ich habe mich sehr gefreut, ein Lebenszeichen von meiner Lieblingskatze lesen zu dürfen. Dein Text wirkt, als würde Schrödingers Katze langsam einen Ort jenseits der unkontrollierten Fluktuation zwischen Systemzuständen finden. Das finde ich, mit Verlaub, grandios. Verstehen ja nicht viele, daß sich Wildheit und Gelassenheit überhaupt nicht ausschließen, sondern vielmehr äußerst befruchtend aufeinander einwirken können. Ein stürmisches Leben, das all seine quantendynamischen Möglichkeiten bejaht, bedarf meiner Meinung nach geradezu eines nicht-örtlichen Refugiums der Ruhe, in das wir uns zurückziehen können, um uns zu besinnen. Wobei mir dieses Bild fast schon wieder zu dualistisch ist. Irgendwann auf dem Weg werden sie sich gegenseitig durchdringen, und dann haben wir jene edle Wildheit erlangt, von der die französischen Moralisten nur geträumt haben. Ich freue mich jetzt schon auf Deinen nächsten Eigenzustandsbericht.
Als Freund von Traditionen möchte ich auch dieses Dankeschön mit einem kleinen Geschenk abschließen: Den ersten sechs Zeilen des Gedichts ‹Les Chats›, aus meinem Lieblingsgedichtband, den «Fleurs du Mal» von Charles Baudelaire: Die glühenden Liebenden und die strengen Gelehrten / lieben gleichermaßen in der Zeit ihrer Reife / die mächtigen und sanften Katzen, Stolz des Hauses, / die wie sie frösteln und wie sie seßhaft sind. / Freunde des Wissens und der Lust, / Suchen sie das Schweigen und den Schrecken der Finsternis.

Ein nun wieder stiller Verehrer.



Erstellt: 21. Februar 2002 – letzte Überarbeitung: 23. Februar 2002
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