BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Zur Fabrikation der Verblödung: Neger mit Pappnasen»
von Edna Lemgo & Stefan Bärnwald
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«Alter Kalauer, manchmal lebensnotwendig:
Streichen Sie aus dem Wort Schreiben den Buchstaben b.
Na?»

Immer noch befreiend, nach all den Jahren, wie der überbewerten Tätigkeit der sequenziellen Wortreihung so mal eben ihre Aura genommen wird. Die Produktion von semiotischem Textquark ist in der Regel ein Akt der Feigheit, des eskapistischen Rückzugs, der bestenfalls passiven Aggressivität. Versozialisiert und verharmlost wie wir sind, zügeln wir unseren Impuls, als Mitspieler auf der Bühne der gesellschaftlichen Verblödungsindustrie endlich um uns zu schlagen und laut los zu schreien. Später, im stillen Kämmerlein, mit Papier und Bleistift bewaffnet, kanalisieren wir unsere doch tatsächlich noch tiefer gesunkene Selbstachtung in einem vollkommen überflüssigen Text wie diesem. Es ist zum Scheiße kotzen. Auch, weil eine in rekursiver Schleife potenzierte Selbstanklage wie diese die Heuchelei nur noch weiter nach oben schraubt.

Trotzdem – oder gerade deswegen – haben wir hier eine sehr dringende Buchempfehlung [1] Markus Metz und Georg Seeßlen (2011): Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität. Berlin: Edition Suhrkamp.. Wer auch immer noch daran interessiert sein mag, wieso wir – und das meint: wir! – so verblödet sind, wie wir sind, mit unserem weltabgewandten Kulturpessimismus, mit unserem immer schön seitlich daran vorbei laufenden Ästhetizismus, den verkünstelten Geschmäcklereien und unserer senilen Textflucht, der findet Rat in einer wunderbaren, über alle Maßen wichtigen Analyse des Wandels unserer postdemokratischen Gesellschaftsform. Und den damit einher gehenden Veränderungen unserer Selbst-, Menschen- und Weltbilder, die unser Gegen- und Miteinander regulieren.

Vor der Empfehlung ein kurzer Bericht aus dem wirklichen Leben, zur Anschaulichkeit. Zwei Ministerien, sagen wir ein Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter sowie ein Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr eines nicht kleinen deutschen Bundeslandes laden zur Ehrung ausgezeichneter Forschungsprojekte. Großer Aufmarsch, lange Vorbereitung durch den Organisator, alles in Reih' und Glied, die Ministerin kommt, es wird Geld verteilt, sagen wir, so um die 17 Millionen Euro. Nicht viel, aber eine achtbäuchige nordwestafrikanische Familie käme damit schon ein wenig über die Runden. Marsch, Marsch, Aufstellung vor den Postern, die Entourage wird erwartet. Doch die Entourage kommt nicht, und so um die 30 hoch bezahlte und dekorierte Blüten der Forschungslandschaft zupfen leicht gekränkt an ihren Krawatten, aber, nun ja, eine Ministerin, die ist nun einmal beschäftigt.

«Die Unterwerfung, wir ahnen es, ist fundamentaler, als es eine noch so tiefe Verbeugung wäre, weil sie die Freiwilligkeit des Unterworfenen und das Wohlwollen des Unterwerfers mitspielt.» [2] Zitate aus dem monumentalen Werk von Metz und Seeßlen sind kursiv gesetzt.

Gut, dann zur Preisverleihung. Schwungvolle Rede der jetzt anwesenden Ministerin, Gender-Gender-Trallala, Technik-Technik-Hoppsassa, und jetzt kommen wir zur Auszeichnung der Siegerprojekte. Nicht Siegerinnenprojekte, fällt aber keiner auf. So um die 25 Sieger, in kleinen oder größeren Gruppen, nur ein Sieger hat nicht daran gedacht, eine Quotenfrau mitzunehmen. Fällt aber auch keiner auf. Jeder Sieger hält einen kurzen Dialog mit dem Moderator, ca. 25 mal etwa dreieinviertel Halbsätze, und dann so etwa 25 mal Siegergruppenfoto mit der Frau Ministerin, nach herzlichstem Händeschütteln und gefügiger Akklamation von ca. 400 hoch bezahlten Blüten der deutschen Forschungslandschaft als Klatschkulisse. Wie die Ministerin strahlt auf dem Foto, wie sich alle freuen, den Standort gemeinsam voran zu bringen, in diesen schweren Zeiten! Wenn sie bitte noch ein wenig zusammen rücken würden, für das Foto, so weit ist der Winkel unseres Fotografen nicht, bitte hier, ja, die Dame nach vorne, hier ist doch Gender das Thema, nicht wahr, ja, so, genau, so. Ja. Und jetzt bitte alle einmal lächeln, genau so, ja.

«.... so wie ein Käse, der weniger Käse und mehr Aromen enthält, sehr viel lauter nach Käse schmeckt als echter Käse, so ist ein öffentliches Bild (....) um so lauter, je weniger Bedeutung es enthält.»

Vor dem Mittag, der begeisterte Moderator kündigt noch einen kleinen, aber sehr feinen Höhepunkt an, damit wir gleich gestärkt und noch froheren Mutes in die Pause gehen können, nicht wahr. Da kommt ein Clown, jetzt, der macht aber nur eine Ansage, dann kommt der eigentliche kleine, aber feine Höhepunkt. Der Herr Clown bitte, sie sind ja gar nicht verkleidet, nein, ich nicht, da kommt gleich eine ganz besondere Truppe, er betreibe nämlich, also aus Steuermitteln, eine Clownschule da unten, in Afrika, wo die Menschen so bedürftig sind und eine Zukunft und eine Hoffnung brauchen und ein Lächeln. Und sechs der Clownsschüler aus dem fernen Afrika habe er mitgebracht, die kommen jetzt gleich hier auf die Bühne, die haben eine lustige Szene einstudiert, zum Thema hier, also zur Medizin, und der Ungleichbehandlung von Mann und Frau, deswegen spielen sie ein Stück mit der Liebe, da sei man ja herzkrank, und da gäbe es Unterschiede, in der Behandlung von Mann und Frau. Und dazu wird dann auch ein Lied gesungen, ein afrikanisches, ein ruhiges, als Untermalung und als Hintergrund. Und da kommen sie ja, die Clownsschüler aus Afrika, einen Applaus bitte. Auf treten die Clownsschüler aus Afrika, und spielen ein schönes und ruhiges und nicht amüsantes und todtrauriges Stück. Vor werden sie geführt, als Neger mit roten Pappnasen, für die mitteleuropäische Elite, die begeistert klatscht zu der herzergreifenden Inszenierung postkolonialistischer Arroganz.

«In Frankreich kann man noch heute ein Dessert mit dem rassistischen Namen‹ ‹la tête de nègre› kaufen: einen kugelförmigen Schokoladenkuchen, der innen hohl ist (‹wie der Kopf des dummen Negers›) – und das Überraschungsei füllt diese Leere. Die Moral aus dieser Geschichte ist, dass wir alle ‹Mohrenköpfe› haben, die innen hohl sind. Und bestünde die humanistisch-universalistische Reaktion auf einen ‹tête de nègre› nicht gerade in so etwas wie einem Kinder-Überraschungsei? Wir mögen uns zwar alle voneinander unterscheiden, einige von uns sind schwarz, andere weiß, andere arm – doch tief in unserem Innersten existiert dasselbe moralische Pendant des Plastikspielzeugs: ein Faktor X, der irgendwie die allen Menschen gemeinsame Würde repräsentiert.» [3] Die Geschichte mit dem Mohrenkopf und dem Überraschungsei ist Teil des Klappentextes einer CD des supposé – Verlags, auf der Slavoj Žižek über den«Faktor X. Das Ding und die Leere» referiert. Da das «Überraschungsei in Theorie und Praxis» und die «Eiförmigkeit der universalen Glücksmetapher» aber auch bei Metz und Seeßlen eine zentrale Rolle spielen, haben wir uns diesen Kniff mit freundlicher Genehmigung unseres Lektors gestattet.

Endlich Mittag. Immer wieder erhebend anzuschauen, wie die humanistisch-universalistische Elite ihr Fingerfood verschlingt. Ente nicht wahr, und das ist Feige. Aber satt wird man da nicht von, nicht wahr. Was so eine Veranstaltung hier kostet, und nichts Vernünftiges zu essen. Ja, hier dürfen sie abräumen. Das auch, ja. Aufmerksam, das Personal, nicht wahr. Aber ich hol mir noch was, ist ja für den hohlen Zahn, nicht wahr. Und die Neger, ach so, die Schwarzen, ja, wie fanden Sie die? Befremdlich, wie meinen Sie das? Keine Integration? Diskriminierend? Da verstehe ich Sie nicht, meine Liebe, die waren doch stolz und denen geht es doch gut hier. Negerimport, Sklavenhandel? Also bitte, Sie scherzen, nicht wahr? Aber sicher, meine Liebe, Ihr eigener Humor, nicht wahr, erfrischend. Und, Sie nehmen auch an einer Podiumsdiskussion teil? Ah, Sie gehören zu den Rednern? Oh, pardon, Rednerinnen, ach ja, ist ja Gender, nicht wahr, da sollten wir Männer schon ein wenig aufpassen, nicht wahr, also Sie sind auch Rednerin? Dann sehen wir uns ja vielleicht später noch.

Der Moderator ist wieder gut vorbereitet. Jeder 10 Minuten, und dann kommen wir ins Gespräch, nicht wahr, das mache ich schon. Ist ja nicht so gut besetzt hier. 5 Redner, und da sind ja nur noch so 30 Leute. Sind die alle gegangen, nach dem Mittag? Ach so, die Ministerin ist auch nicht mehr da. Da hätte ich mir trotzdem mehr erwartet, ist doch ein spannendes Thema. Sie kennen die alle? Man kennt sich untereinander, oder? Die gehören alle zu ihren Netzwerken? Kein Publikum, nur, wie nennen Sie das, peer groups? Kein Interesse, zu den Bekehrten zu predigen und eine Schauveranstaltung abzugeben? Den mit den Bekehrten, der ist gut, den merke ich mir. Lieber eine offene Diskussion? Nein, lieber nicht, wir machen das wie geplant, Sie wissen schon, das wird so erwartet, nicht wahr. Dann setzen wir uns mal. Ah, da kommt ja auch der Fotograf, das ist ja wichtig, denke ich, auch für Sie, nicht wahr, Sie machen ja auch Öffentlichkeitsarbeit, da ist es doch wichtig, auch zu dokumentieren, dass Sie hier waren, dass Sie dabei gewesen sind, bei so einer wichtigen Veranstaltung, nicht wahr?

«Wir könnten einfach von ‹Lügen›, von ‹Dummheit›, von ‹Inszenierungen› sprechen. Oder eben von einem gemeinsamen Genuß der Blödheit. Wenn nicht hinter dieser öffentlichen Trennung der ‹Impulsgeste› vom Inhalt mehr stecken müsste, nämlich eine fundamentale Veränderung der Art, wie der öffentliche Raum organisiert wird und wie man ihn betritt. Und andersherum eine ebenso fundamentale Änderung der Art, wie ein Mensch, mit Bildern und Erzählungen aus der Welt kommend, sein eigenes Inneres betritt. Genau von diesen Veränderungen, Veränderungen des Menschenbildes und Veränderungen der Gesellschaftsform, handelt dieses Buch.»

Lesen Sie es!



Kommentare:


Verehrte Redaktion,

am Anfang tut es noch weh. Aber Sie werden sich an die DDR schon noch gewöhnen. Und vielleicht sogar wehmütig an die monierten Geschmacklosigkeiten denken, wenn wir hier wieder soweit ins Feudalistische regrediert sind, dass MontagearbeiterInnen in Käfigen gehalten und KetzerInnen, gewisser Schaulust wegen, lebendigen Leibes ausgeschlachtet werden.

Ihr Engagement als MitgliederInnen der aussterbenden Spezies "ZeitzeugInnen" finde ich einmal mehr ehrenwert!

Utopistische Grüsse

von Max Liebscht (Görlitz)



Erstellt: 19. Juli 2011 – letzte Überarbeitung: 20. Juli 2011
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