BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Delfter Blau: Ontologische Rahmenbedingungen»
von Stefan Bärnwald
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I had seven faces, thought I knew which one to wear.
Interpol: NYC (2002)

Die Idee für diesen gescheiterten Versuch ist einer älteren Dame aus dem Sauerland zu verdanken, deren erste Assoziation zum niederländischen Städtchen Delft sehr unmittelbar Blau war. Statt Blau hätte sie auch an Orange oder vielleicht Vermeer denken können. Sie sagte Blau.

Da Delft nach wenigen Spaziergängen uninteressant wird, braucht der Besucher Ablenkung, wenn sich der Aufenthalt über mehrere Tage erstrecken soll. Am ersten und zweiten Tag kann es sich dabei z.B. um Fußballspiele handeln, da irgendein holländischer Sender immer irgendein europäisches Fußballspiel zeigt. Gerne übrigens mit Johan Cruyff als Co-Moderator, um das Tagesgeschehen auf jeden Fall irgendwie zum niederländischen Trauma von 1974 in Beziehung zu setzen. Wenn dann am dritten Tag aber auch die Flucht in den Fußball keinen Schutz mehr vor Trübsinn bietet, weil niederländische Ehrendivisionäre und eine zweitklassige deutsche Truppe historische Auseinandersetzungen mit vertauschten Rollen nachspielen, ist es vielleicht unvermeidbar, dass sich das Niveau der eigenen Welt dem der anderen bedrohlich annähert. In dieser herabgesetzten Gemütsverfassung wurde die Assoziation der älteren Dame der Schlüssel zu einem Ausweg aus der protestantischen Tristesse. Delfter Blau: Wahrscheinlich der einzige Zustand, in dem es hier auf Dauer auszuhalten ist.

Das befremdete Erstaunen über den schlechten Scherz konnte nicht verhindern, den Ausweg ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Kleine kognitive Automaten zum Ausgleich von Dissonanzen produzierten schnell und effizient einen akzeptablen Vorschlag. Da die Kollegen in Delft etwas diskutierten, was sie «Ontological Frameworks» nannten, entstand vor dem von ihrem Geschwätz getrübten inneren Auge die Überschrift «Delfter Blau: Ontologische Rahmenbedingungen». Das Konzept zum Titel lieferten die Automaten gleich mit. Warum nicht in einer Art therapeutischem Selbstversuch die Blut-Alkohol-Konzentration steigern und den progressiven Verlauf nutzen, um ein abstruses Wortgetümmel zu erzeugen, durch das so etwas widersprüchliches wie eine allumfassende Leere dringt? Das würde wohl zumindest mehr Freude bereiten, als den Rest des Tages Menschen ohne ein Verhältnis zu ihrem Sein dabei zu ertragen, wie sie die ontologischen Rahmenbedingungen ihrer technischen Krücken erörtern.

Manchmal scheitern große Pläne an Kleinigkeiten. In diesem Fall fehlte ein Korkenzieher. Die Hürde wäre zu überwinden gewesen, aber vor den Weinregalen von Gall & Gall am Delfter Marktplatz führte der Gedanke an das kleine Hindernis zu einer Debatte, bei der sich die bequeme selbstreferentielle Position trotz des frühen Rückstands knapp, aber verdient gegen die mühsame ästhetische Gestaltung des Lebens durchsetzte. Daher kein Wein, kein Wortgetümmel, nur rhetorische Fragen aus der Untiefe des Raumes: An wen könnte sich der Text bitte schön richten? Wozu dann der Aufwand? Vielleicht gibt es doch irgendwo ansehnlichen Fußball im Fernsehen?

Ein Kollege wies bei der Nachbesprechung noch darauf hin, dass bei der Verbindung der Komponenten der Ontologie geringfügige Ungenauigkeiten bei der Berechnung von Zeitunterschieden zu berücksichtigen wären, da die Lichtgeschwindigkeit u.a. von der Luftfeuchtigkeit abhängig sei. Er schien zu wissen, wovon er redet.



Erstellt: 27. Februar 2005 - letzte Überarbeitung: 27. Februar 2005
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