BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Erster Teil»
von Lisa Blausonne
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Gelandet. Nachdem ich über den Teich geflogen bin. In den letzten drei Monaten fünf Mal, hin und zurück, hin und zurück, und jetzt wieder hin. Dieses Mal bin ich mit der amerikanischen Airline geflogen, in der allen Ernstes zum Abendessen ein Sandwich, eine Tüte Chips und ein Schokoriegel serviert werden. Der Amerikaner neben mir trinkt dazu Cola. 14 Stunden Reise. Danach bin ich müde und um den Jetlag zu überlisten, nehme ich das bei uns nicht frei zugängliche Melatonin, welches in Amerika in jeder Drogerie zu erwerben ist. Jetzt wohne ich also hier. Wir wohnen hier.

Ich möchte darüber schreiben, wie ich das Antlitz der amerikanischen Kultur im Alltag wahrnehme; ich bin eine Frau, die die letzten Jahre zuviel gearbeitet hat und nun ein Sabbatical in einem anderem Land für eine gute Idee hält. Sabbatical. Dass dieses Wort überhaupt existiert, zeigt, dass Menschen eine Legitimation suchen, um eine Auszeit zu nehmen. Oder anders gesagt: Um durchzuatmen und dem wahrscheinlichen Burnout-Syndrom zu entkommen. Menschen wie ich, die bis vor kurzem wie ein moderner Wanderarbeiter jede Woche in einem Flieger saßen, um in einer anderen Stadt zu arbeiten. Ich habe gekündigt und das Gefühl gehabt, ein Stück von mir zu verlieren, als ich mein Diensttelefon, mein Dienstlaptop und meinen Dienstwagen zurück gab. Danach änderte sich viel; die häufigen Taxifahrten und das tägliche Kostümanziehen und Essengehen sind vorbei. Ebenso die 70-Stunden-Arbeits-Woche, an deren Ende fein säuberlich in dem Stundenerfassungssystem der Firma, für die ich gearbeitet habe, eingetragen wurde, was man wichtiges getan hatte. Ich hoffe auch, dass mich Freunde oder die Familie nicht mehr darauf hinweisen müssen, dass wir seit Wochen nicht mehr gesprochen haben, während ich das Gefühl hatte, es müsse doch erst gestern gewesen sein.

Die permanent notwendigen Koordinationen mit meinem Freund Paul haben nun endlich ein Ende. Wir sind zusammen in Amerika, in dem Land, das nicht zu den wirtschaftsträchtigen gehört und dessen Volkswirtschaft möglicherweise einer Rezession entgegenblickt; das Land, über das ich so häufig gelacht habe - schlimmer noch: Über das ich nichts wissen wollte. Bis ich dann New York kennen lernte, nicht aus Paul Austers oder Susan Sontags Büchern, sondern zu Fuß, in einer milden Frühlingswoche. Und erst recht, bis ich in San Francisco an der Bay stand, die Pelikane – oder Vögel, die so ähnlich aussehen – am Himmel und die Robben im Wasser sah und dachte, warum hat dir nie jemand gesagt, dass es hier so schön ist? In Kalifornien, einem Land, das größer ist als Deutschland. Ich komme aus der reichsten Stadt Deutschlands, Hamburg, und lebe nun in einer Stadt, die noch reicher und dabei verrückter und bunter ist, als es eine Stadt in Deutschland je werden könnte.

Ich habe im ‹digitalen Brockhaus› unter San Francisco den Eintrag ‹Kurzform Frisco› gefunden. Dieses Wort ist hier allerdings verpönt, San Francisco ist zwar relativ klein, es hat weniger Einwohner als Hamburg, möchte aber nicht mit einer anderen amerikanischen Stadt verglichen werden, welche tatsächlich ‹Frisco› heißt.

Ich weiß nicht, welcher Aspekt in dieser neuen Lebensphase der für mich schillerndste ist: Zeit zu haben, gekündigt zu haben, ein Buch schreiben zu wollen, in den USA zu sein oder dass ich mit meinem Freund zusammengezogen bin.



Erstellt: 16. Januar 2008 – letzte Überarbeitung: 28. Januar 2008
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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