BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Fünfter Teil»
von Lisa Blausonne
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Mein Freund Paul ist Weltmanager, so sagen manche Freunde liebevoll. Weil er weltweite Projekte in einem weltweiten Konzern managt, der sich im Silicon-Valley befindet, quasi nebenan. Der IT-Boom führt zu einer starken Konkurrenz zwischen Firmen wie Google, Yahoo, Apple, SAP, Oracle und zu einem ‹Aufrüsten› der besten Lockangebote für Mitarbeiter. Wird bei Yahoo ein neuer Chefkoch für die Kantine eingestellt, ziehen die anderen gleich nach. So gibt es mittlerweile standardmäßig Waschangebote für die Autos, einen Bus-Shuttle-Service, Reinigung für die Anzüge und die neuesten Designermöbel im Büro. Paul arbeitet die Woche über für ein Projekt in L.A. und kommt nur am Wochenende nach Hause. Er hat viel zu tun.

Vor zwei Wochen galt dies auch noch für mich. Ich erinnere mich dunkel an die Zeit. Jetzt interessieren mich mehr die Dinge wie: Was heißt Muskatnuss auf Englisch? Wieso muss ich den neuen Staubsauger eigenhändig zusammenschrauben und warum, wenn ich ihn nach einer Stunde endlich zusammengebastelt habe, pustet er mit einem Wahnsinnskrach Luft aus, statt sie einzusaugen? In diesen Momenten hilft es entscheidend, in die yogische Ujjayi-Atmung zu verfallen und zu lachen. Ich wollte ja unbedingt einen Kulturwechsel. Aber mußte es Amerika sein? Dieser Aufenthalt ist der Nanga Parbat meiner Auslandsaufenthalte – schwer, aber nicht unmöglich zu meistern. Es geht im Supermarkt weiter, im Safeway ist eine komplette und sehr breite Kühlfront ausschließlich verschiedenen Milchsorten gewidmet. Welche Milch kaufe ich, wenn ich nur ganz normale will: Mit Vitamin D, low fat, dehydriert, linksdrehend, Klasse A (was wäre dann Klasse B?); leider sehe ich kein ‹regular›, dies wurde abgeschafft. Ebenso die Internetcafés, die sind nun also Vergangenheit, es werden hier nur federleichte, elegante Mac-Books genutzt, die selbstredend keine Kabel mehr benötigen, um ins Internet zu gelangen, denn heute kommen die Daten aus der Luft, wireless eben. Nun, ich bin jetzt freischaffende Autorin und kann mir so was nicht mehr leisten.

Warum werde ich in der Servicehotline der hiesigen Telefongesellschaft über zwei Stunden weitergereicht, so dass ich am Ende fast einen Nervenzusammenbruch und noch immer keinen Internetanschluß habe? Wo ist eigentlich der Sicherungskasten? Bedeutet ‹organic› ‹bio›? Wenn ja, warum steht dann auf den Früchten ‹organic – made in China›? Warum darf ich die Wäsche nicht draußen aufhängen und muss statt dessen einen Trockner nutzen? Wie viele cm sind noch mal 1 Inch? Und sind 69 Fahrenheit etwa 32 Grad Celsius? Wo ist mein Adapter, den ich brauche, um überhaupt irgendein Gerät, das wir aus Deutschland mitgebracht haben, zu benutzen? Wie trennt man hier Müll, es stehen drei verschiedenfarbige Tonnen am Haus?

Plötzlich enden auch die Kommunikationsströme von zu Hause. Wie abgeschnitten. Nur weil ich mich auf einem anderen Kontinent bewege. Ich vermisse meine Freunde und meine Familie. Und ich vermisse es, meine Sprache zu hören oder zu lesen. Die mitgebrachten deutschen Bücher habe ich bereits durchgelesen. Zum Trost gehe ich in den Golden Gate Park und setze mich in den japanischen Garten, trinke Jasmintee und schaue den Erdhörnchen zu, wie sie sich nicht in die Nähe der Koi-Karpfen trauen. Abends finde ich in einem Karton mit Pauls Sachen unvermutet deutsche Bücher und veranstalte im Wohnzimmer einen Freudentanz.



Erstellt: 20. Januar 2008 – letzte Überarbeitung: 28. Januar 2008
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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