BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Zwölfter Teil»
von Lisa Blausonne
Als PDF-Datei laden

Was Amerikaner wohl über uns Deutsche sagen? Die Frage stellen wir abends in einer Runde von „friends“ - nicht zu übersetzen mit „Freunden“ -, die Paul vom Segeln kennt. Nach einer Regatta lädt Jim zum Grillen bei sich ein. Die Runde von sechs sehr netten Amerikanerinnen und Amerikanern antwortet ehrlich: Sie denken, dass die Deutschen Änderungen scheuen, wozu auch gehört, dass sie wenig mobil seien. Unsere netten Bekannten nennen dies „village style“; „Dorfstil“: In einem Dorf bewege sich auch wenig, so wie sich bei den Deutschen wenig bewege. Die Deutschen wollten alles im voraus planen und wissen: Sie wollten kontrollieren. Änderten sich die Dinge – und die Dinge änderten sich immer –, sei der Deutsche schwerfällig, negativ eingestellt und behindere Innovationen.

Während des Essens stellen wir fest, dass in der amerikanischen Sprache mehr deutsche Worte integriert wurden, als wir dachten. Neben vielen Bezeichnungen für deutsches Essen, wie z.B. Bratwurst, Knackwurst, Leberwurst und Kraut sind es: Autobahn, Bildungsroman, Schmutz, Gesundheit (als Reaktion auf ein Niesen), Kindergarten, Fahrvergnügen, kaputt, Kitsch, Müsli, Rucksack, Waldsterben, Weltschmerz, Zeitgeist. In Amerika werden die Worte natürlich anders ausgesprochen. Es klingt für unsere Ohren lustig, wenn jemand „I am so kaputt“ sagt. Als Jim dies ausspricht, ist ihm gar nicht bewußt, dass „kaputt“ ursprünglich deutsch ist.

Am nächsten Tag lese ich ein interkulturelles Buch, das für Amerikaner geschrieben ist, die nach Deutschland auswandern. Es stehen Tipps für eine passenden Umgang in dem Buch sowie Hinweise, worauf man sich einstellen muss. Auf diesem Wege lerne ich etwas über die Perspektive der Amerikaner und deren Vorstellung über uns. Ich hoffe insgeheim, dass die Deutschen besser wegkommen und die Meinung der Segelfreunde nur zufällig und einmalig ist. In dem Buch steht: „Deutsche sind sehr konformistisch; sie nehmen sich sehr ernst, verstehen keinen Spaß und betonen gute Manieren. Sie mögen den informellen Umgang nicht.“ Ich atme tief ein, mir fallen sogleich sehr viele Gegenbeispiele ein. Doch ich lese weiter: „Pflicht und Pünktlichkeit sind äußerst wichtig. Seien Sie nie zu spät! Der Deutsche beginnt und beendet einen Termin wie vorher festgelegt, unabhängig davon, ob die Ziele erreicht wurden oder nicht“. Ich bin empört. So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Vielleicht fühle ich mich auch ertappt. Zumindest lese ich weiter: „Deutsche referieren langatmig und beziehen häufig den historischen Hintergrund mit ein. Sie sind gut über das Weltgeschehen informiert und verweisen darauf, wohingegen der Amerikaner auf den Punkt kommt.“

Ich denke spontan, dass die Deutschen immerhin den historischen Hintergrund kennen. Und: „Deutsche mögen es nicht, wenn man die Füße auf die Büro-Möbel legt.“ Darüber bin ich belustigt. Stimmt! „Deutsche sprechen keinen Small-Talk und fühlen sich unwohl in Gegenwart von fremden Menschen; sie haben Schwierigkeiten, mit Fremden zu sprechen“. Ich denke, na, das ist ja ein Vorurteil und das Buch wahrscheinlich schon etwas älter. „Deutsche akzeptieren Fachbücher nur, wenn sie unverständlich und mit vielen Fremdwörtern geschrieben sind. Sind sie einfach geschrieben, werden sie nicht anerkannt und der Inhalt als simpel angesehen.“ Ich werfe das Buch verärgert in die Ecke.



Erstellt: 15. Mai 2008 – letzte Überarbeitung: 16. Mai 2008
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
Alle Rechte vorbehalten.
Bitte senden Sie Ihre Kommentare zu diesem Text per E-Mail
an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.