BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Plausible Plotlinien: Überleben?»
von Edna Lemgo
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«Die Schmach des Lebens über sich ergehen lassen
und schweigen:
das sei die größte Leistung.»
(Imre Kertész, Liquidation)


Klingel

.........

Klingel

..........

Türöffner

..........

‚Hallo Oma.'
‚Hallo mein Mädchen.'
‚Was ist denn los Oma?'
‚Ach, ich weiß auch nicht. Mein Kreislauf. Ich weiß auch nicht.'
‚Deine Stimme ist ganz rau und belegt. Bist Du erkältet?'
‚Erkältet, nein. Fährst Du dann eben zur Apotheke und holst das ab?'
‚Ja sicher Oma, dafür bin ich doch hier. Stimmt, das geht noch vor Eins. Dann mache ich es jetzt direkt.'
‚Hier sind zehn Mark. Für das Rezept. Hier. Aber die brauchst Du nicht. Zur Sicherheit. Hier ist die Karte. Auf der steht drauf, dass ich nichts bezahlen muss. Und die zehn Mark.'
‚Ist gut Oma. Ich bin dann eben weg. Bin gleich wieder da.'
‚Was?'
‚Bin gleich wieder da Oma.'

..........

‚Das möchte ich abholen für meine Oma:'
‚Ja gerne ....... Das ist mir nicht ganz klar ..... Ach doch ja. Für Frau Lemgo?'
‚Ja. Für meine Oma Frau Lemgo.'
‚Wir haben es ihr gestern gebracht. Aber es hat niemand die Tür aufgemacht. So zwischen fünf und sechs.'
‚Dann hat sie es wohl nicht gehört. Ich habe gerade auch wieder drei Mal geklingelt. Die Hörgeräte.'
‚Ja. Das hier ist kein Rezept. Nur eine Erinnerung. Das hat der Arzt nur hier drauf geschrieben, als Erinnerung. Die Kasse zahlt das nicht. Das musst Du selbst bezahlen.'
‚Sicher, ich verstehe. Wann waren die gestern da, so zwischen fünf und sechs?'
‚Ja. Zwischen fünf und sechs. Das wären neun Euro und fünfundsechzig.'
‚Gerne. Und vielen Dank.'
‚Auf Wiedersehen.'

..........

Klingel

..........

Klingel

..........

Türöffner

..........

‚Hallo Oma.'
‚Hallo.'
‚Hier Oma.'
‚Was ist das?'
‚Das ist was für die Nasennebenhöhlen Oma. Wahrscheinlich hast Du eine Entzündung. Und bist deswegen so schlapp.'
‚Für die was?'
‚Für die Nasennebenhöhlen Oma. Steht hier drauf.'

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‚Wie oft muss ich die denn nehmen?'
‚Dreimal am Tag Oma. Eine morgens eine mittags und eine abends.'
‚Wie oft?'
‚Dreimal am Tag Oma. Immer eine.'
‚Dann nehme ich jetzt eine?'
‚Ja Oma. Am besten nimmst du jetzt eine.'

..........

‚Die haben die gestern schon gebracht Oma. So zwischen fünf und sechs.'
‚Was haben die?'
‚Die haben die gestern gebracht, so zwischen fünf und sechs. Aber du hast wohl nicht aufgemacht. Wahrscheinlich hast du nichts gehört.'
‚Gestern? Die waren hier?'
‚Ja, die wollten dir das bringen. Aber du hast nicht aufgemacht.'
‚Ach so. Ja. Manchmal höre ich das nicht.'

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..........

‚Wofür sind die?'
‚Für die Nasennebenhöhlen. Wahrscheinlich hast Du eine Entzündung. Deswegen bist du so schlapp Oma.'
‚Für die Nasennebenhöhlen? Wie kommt das denn?'
‚Deswegen ist Deine Stimme auch so. Klingt als hättest Du Dein Leben lang geraucht.'
‚Ich hab doch nicht geraucht. Noch nie.'
‚Tust Du bitte Deine Hörgeräte rein Oma. Ich bin die ganze Zeit am Schreien und Du verstehst mich trotzdem nicht.'
‚Meine Hörgeräte?'
‚Ja deine Hörgeräte.'
‚Ach ja.'

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..........

‚Wie oft soll ich die nehmen?'
‚Dreimal eine, Oma. Eine morgens, eine mittags und eine abends.'
‚Ach ja. Willst Du jetzt essen?'
‚Ja gerne Oma.'

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‚Tu Dir schon mal was auf.'
‚Gerne Oma, danke.'

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‚Schmeckt's?'
‚Lecker Oma. Wie immer.'
‚Nimm dir noch was.'
‚Gleich Oma. Habe ja noch was auf dem Teller.'
‚Ach ja.'

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‚Ich nehm' mir noch was.'
‚Ja sicher.'

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‚Lecker Oma.'
‚Schön. Pudding habe ich aber nicht gemacht. Hab ich nicht geschafft.'
‚Macht nichts Oma. Ich bin doch nicht so süß.'
‚Was bist du nicht?'
‚Ich esse doch nicht so gern Süßes. Nicht schlimm, daß du keinen Nachtisch gemacht hast.'
‚Ach so. Hab ich wirklich nicht geschafft, den Pudding.'

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‚Du machst wirklich einen schlappen Eindruck. Lass das mal stehen. Ich räum schon ab.'
‚Geht schon. Bleib du mal sitzen.'
‚Eigentlich legst du dich immer mittags hin oder?'
‚Eigentlich schon.'

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‚Da ist ja die Katze. Ich dachte, die ist im Schlafzimmer und pennt.'
‚Die schläft mittags auch immer.'
‚Sieht aus, als wollte sie raus.'
‚Ja, die will raus.'
‚Dann lasse ich sie mal raus.'

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‚Richtig schönes Wetter gerade.'
‚Was?'
‚Richtig schönes Wetter gerade. Hatten wir lange nicht, so richtig nur Sonne.'
‚Ja.'
‚Wollen wir uns etwas nach draußen setzen. Das Wetter ist gerade so schön.'
‚Ja, setzen wir uns nach draußen.'

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‚Geht das mit der Sonne?'
‚Was?'
‚Geht das mit der Sonne oder soll ich den Sonnenschirm aufstellen?'
‚Das geht.'

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‚Wenn ich die Putzi rufe, dann kommt sie angerannt, glaubst du.'
‚Ja, wirklich schön dass du die Katze hast.'
‚Putzi. Putzi.'

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‚Dann wohl nicht.'
‚Doch da ist sie.'
‚Siehst Du.'
‚Wollen wir uns um die Pflanzen kümmern?'
‚Was?'
‚Die Pflanzen, die ich mitgebracht habe. Wollen wir die jetzt einpflanzen?'
‚Die Pflanzen die du mitgebracht hast. Ja, die Pflanzen, lass uns die einpflanzen.'

..........
..........

‚Das hier ist eine Gurke, die klettert.'
‚Was ist das?'
‚Eine Gurke, die klettert.'
‚Eine Gurke. Die habe ich immer da hinten.'
‚Dann pflanzen wir sie da ein.'
‚Das ist eine Tomate. Die wird nicht so groß, aber buschig.'
‚Die pflanzen wir auch dahinter ein.'
‚Und das hier ist Mohn und das sind Cleome. Und das da sind Jungfern im Grünen. Das blüht alles.'
‚Was ist das?'
‚Das kriegt alles Blüten Oma.'
‚Das sind Blumen? Dann kommen die in das Beet da.'

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‚Hier?'
‚Ja hier.'

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‚Lass mal Oma. Denk an Deinen Kreislauf. Ich mach das schon.'
‚Ja mein Kreislauf.'
‚Ich mach das Oma. Setz du dich bitte hin.'
‚Was?'
‚Setz du dich bitte hin Oma. Ist besser.'
‚Ich setz mich besser hin.'

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‚Und die pflanze ich hier hin?'
‚Ja, die können dahin.'
‚Hier?'
‚Ja, da.'

..........
..........
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‚Weißt du was Oma? Wir trinken jetzt noch Kaffee und dann legst du dich hin.'
‚Ich leg mich besser hin.'
‚Wir trinken noch Kaffee und dann legst du dich hin. Du legst dich ja auch sonst mittags hin. Und wenn du jetzt auch noch eine Entzündung mit dir rum schleppst. Sicher bist du da schlapp.'
‚Was bin ich?'
‚Du legst dich gleich besser hin Oma.'
‚Soll ich Kaffee machen?'
‚Ja Oma. Wir trinken Kaffee und dann legst du dich hin.'

..........
..........

‚Die Sahne ist nichts geworden. Ich hatte kein Sahnesteif mehr.'
‚Macht nichts Oma. Ich bin doch nicht so süß.'
‚Was bist du nicht?'
‚Ich brauche keine Sahne Oma. Mir schmeckt dein Kuchen auch so.'
‚Ach so. Wie oft soll ich die Tabletten nehmen?'
‚Dreimal eine Oma. Eine morgens eine mittags und eine abends.'
‚Ach ja.'

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‚Wenn ich mich mittags hin lege, kommt die Katze immer und legt sich oben drauf.'
‚Ja es ist wirklich besser wenn du dich gleich hinlegst Oma. Du siehst wirklich schlapp aus.'
‚Nimm noch ein Stück Kuchen.'
‚Vielen Dank Oma, aber ich bin noch satt vom Mittagessen.'
‚So viel hattest du doch gar nicht.'
‚Aber ich esse doch sonst immer erst abends Oma. Ich esse sonst kein Mittag. Deswegen bin ich noch ganz schön satt.'
‚Dann nimmst Du Dir aber was mit von dem Kuchen.'
‚Gerne Oma. Da nehme ich mir was von mit.'

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‚Das reicht Oma. Lass gut sein.'
‚Für dich und Markus. Nimm noch ein Stück.'
‚Ok, Oma eins noch.'
‚Und warte ich hab noch was.'

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‚Eierlikör-Konfekt Oma. Toll. Danke.'
‚Für dich und Markus.'
‚Ich liebe Eierlikör-Konfekt Oma. Woher wusstest du das?'
‚Siehst du.'
‚Erinnerst du dich noch an die Enkelin, die nicht so gern Süßes ißt Oma?'
‚Was?'
‚Danke Oma, nehme ich gerne mit.'
‚Und denk an den Kuchen.'
‚Würde ich nie vergessen Oma. Und du legst dich gleich hin, versprochen?'
‚Ja.'
‚Und ich räume das jetzt hier ab und du bleibst sitzen.'
‚Nein nein, das mach ich schon.'
‚Oma bleib bitte sitzen.'
‚Was?'
‚Ok, Oma ist in Ordnung. Aber dann legst du dich hin wenn ich weg bin.'
‚Dann leg ich mich hin.'
‚Ok, und heute Abend rufe ich an und frage wie es dir geht.'
‚Du rufst heute Abend an.'
‚Versuch bitte, dass du es auch hörst, Oma, das Klingeln.'
‚Ja, das Klingeln.'
‚Und komm jetzt bitte nicht mit raus Oma. Du musst jetzt nicht mit raus wenn ich fahre. Leg dich bitte gleich hin.'
‚Ist gut. Ich bleib oben.'
‚Tschüss Oma.'
‚Tschüss mein Mädchen. Mach es gut.'
‚Tschüss Oma.'

..........

‚Du wolltest doch oben warten, Oma.'
‚Ach ja, ich bleib oben.'
‚Schön Oma, dann bleib bitte oben und steig jetzt nicht die Treppen. Und leg dich gleich bitte hin.'
‚Ja ich leg mich gleich hin.'
‚Tschüss dann Oma. Ich rufe heute Abend an.'
‚Ist gut. Tschüss mein Mädchen.'
‚Tschüss Oma:'
‚Tschüss mein Mädchen. Fahr vorsichtig.'
‚Mach ich. Tschüss Oma.'

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..........
..........

‚Ich ruf dann mal bei Oma an.'
‚Ja gut.'

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Ring

..........

Ring

..........

Ring

..........

Ring

..........

Ring

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‚Sie geht nicht ran.'
‚Wahrscheinlich schaut sie fernsehen und hört es nicht.'
‚Wollen wir mal hoffen.'

..........

Ring

..........

Ring

..........

‚Ach nee. Telefon.'
‚Ich bin nicht da.'
‚Ich bin auch nicht da.'
‚Ich war zuerst nicht da.'
‚Ich geh schon ran.'

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‚Oma? Hallo.'
‚Edna?'
‚Ja Oma. Schön dass Du noch anrufst.'
‚Was?'
‚Schön dass Du noch anrufst Oma. Wie geht es dir?'
‚Sag mal hab ich dir die 10 Euro für das Medikament gegeben? Das hat doch was gekostet. Hab ich dir das Geld dafür gegeben?'
‚Ja sicher Oma. Die hattest Du mir direkt gegeben, bevor ich gefahren bin um die Medikamente zu holen. Alles in Ordnung.'
‚Ich kann dich doch nicht die Medikamente bezahlen lassen.'
‚Hast Du doch auch nicht Oma. Du hast mir das Geld schon gegeben.'
‚Wann denn?'
‚Direkt als ich die Medikamente geholt habe.'
‚Das ist mir gerade eingefallen und da musste ich noch anrufen. Ich kann dich das doch nicht bezahlen lassen.'
‚Hast du doch auch nicht Oma. Wie geht es dir denn?'
‚Zwei Stunden habe ich geschlafen, glaubst du.'
‚Siehst du. War doch gut, dass du dich hingelegt hast.'
‚Und die 10 Euro habe ich dir gegeben?'
‚Ja Oma alles in Ordnung. Und wie geht es dir jetzt? Besser?'
‚Ja das geht schon. Zwei Stunden habe ich geschlafen. Die Tablette habe ich auch gerade genommen.'
‚Gut Oma. Und was machst Du jetzt?'
‚Fernsehen gucken. Und was machst Du?'
‚Ich lese noch ein bisschen. Ok, Oma, schön, dass du noch einmal angerufen hast.'
‚Ich kann dich doch nicht die Medikamente bezahlen lassen. Das geht doch nicht.'
‚Hast du ja auch nicht Oma. Ist alles in Ordnung. Dann schläfst du heute Nacht bestimmt auch wieder gut. Schon dich.'
‚Ja mach ich. Tschüss mein Mädchen.'
‚Gut Oma. Ich melde mich dann morgen nochmal und frage, wie es dir geht. Tschüss Oma.'
‚Tschüss mein Mädchen.'
‚Tschüss Oma. Bis dann.'
‚Tschüss Oma.'
‚Tschüss mein Mädchen.'
‚Ja tschüss Oma. Bis dann.'



Erstellt: 8.Mai 2012 – letzte Überarbeitung: 9. Mai 2012
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