BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«‹Guter Sex›»
von Helmut Hansen
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Vor einiger Zeit sah ich im Kino eine Camel-Werbung. Eine blonde Frau betrat ein Appartement, in dem ein Mann in einem Bett schlief. Sie drehte die Stereoanlage voll auf und ging dann – sich dabei entkleidend – auf das Bett zu, um über den dort weilenden Mann in geschlechtlicher Absicht herzufallen. Mir war sofort klar, daß dies ein Lehrfilm, eine Vorbildshow für die Art und Weise sein sollte, in der in der Postmoderne Sex zu veranstalten sei: Laut, schnell, heftig, brutal, eher Mißbrauch und Vergewaltigung als Zärtlichkeit. Also nichts für Warmduscher, Gelbbremser, Weicheier oder sonstige Langweiler. Denn die haben keinen «guten Sex», die haben langweiligen Sex. Vielleicht kuscheln die sogar, oder – Wahnsinn – lassen sich Zeit! Welch' abwegige Vorstellung!

Vor ein paar Wochen dann las ich am Kiosk – immer wenn ich an einem Zeitungsstand vorbeikomme, schaue ich mir als Kulturphysiognom die tägliche Überschrift der BILD-Zeitung an – einen irgendwie verloren klingenden Aufmacher: «Dieter Bohlen» und «Naddel» beteuerten, sie hätten «guten Sex».

Und vor ein paar Tagen dann war es wieder «Dieter Bohlen» mit seinem mißglückten Dauer-Grins-Facelifting, der in BILD beteuerte, mit einer Teppichverkäuferin in einem Teppichladen «guten Sex» gehabt zu haben. Und jetzt reicht es mir. Das Imperium schlägt zurück:

Ad eins: «Guter Sex» ist in der Postmoderne – passend zum vorläufigen Siegeszug der Soziobiologie – zu einer rein körperlichen Angelegenheit geworden, wie Jogging oder Aerobics; zu einer Fitness-Veranstaltung also, die zum Körperkult der Postmoderne paßt wie der aktuelle Metzger-Haarschnitt und die vielfältigen Dauerverletzungen der Hautoberfläche. Und daß es sich bei «gutem Sex» um eine rein körperliche Angelegenheit handelt, erkennen wir auch daran, daß man und frau sich mit sportlichen Übungen und dem Einwerfen von Nahrungsmittelergänzungen auf Verkehr und Vollzug vorbereiten. Zwei kopulieren dann, wie es die Camel-Werbung vorschreibt, da da notwendiger- und notzüchtigerweise eine Not, eine hormonelle Schieflage zu beseitigen, eine Art Maßregelvollzug zu vollstrecken ist.

Ad zwei: Was wir als «guten Sex» vorgeführt bekommen, ist Kultur und hat nur ganz weitläufig mit Sex zu tun. Vermutlich denkt ein Mensch der Jetztzeit, daß es sich um Sex handelt, wenn primäre Geschlechtsmerkmale betätigt werden. Na ja. Soll er doch. Dazu eine Geschichte, frei nach Zizek: Ein gewöhnlicher Mann strandet mit Cindy Crawford auf einer einsamen Insel. Nach einigem Hin und Her haben sie guten Sex. Danach wirkt der Mann aber immer noch unbefriedigt, unruhig. Sie fragt, was los sei, er hätte doch alles bekommen, was er sich je erträumte. Er meint, das stimme schon, aber eben nicht ganz, und er bittet sie, sie möge sich doch seine Männerkleidung anziehen, einen Schnurrbart ankleben und seinen besten Freund spielen. Ein wenig irritiert folgt sie seinen Anweisungen. Als sie sich angezogen und den Schnurrbart angeklebt hat und nun seinen besten Freund spielt, haut er ihr unvermittelt auf die Schulter und ruft: «Du glaubst nicht, mit wem ich gerade geschlafen habe. Mit Cindy Crawford!»

Ad drei: In der Postmoderne gibt es einen Zusammenhang zwischen Langeweile, «gutem Sex» und Echtzeit. Sanktionierter «guter Sex» ist unmittelbar, schnell, ohne Zeitspanne zwischen Stimulation und Erleben. Vollzug eben. Die Entdeckung einer Zeitspanne dazwischen, ja die Verzögerung der Zeit, dürfte als leer, nervend, sinnlos und langweilig erlebt werden. Das war es dann mit dem «guten Sex». Aus und vorbei. Dieser Zwang zur Unmittelbarkeit macht aus «gutem Sex» tatsächlich so etwas wie Krieg im Informationszeitalter, wo das Einschlagen von Raketen im Feindesland ja auch unmittelbar in Echtzeit in alle Haushalte übertragen wird.

Ad vier: Sex sells. Immer und überall. Die postmoderne Gesellschaft ist dauer- und übersexualisiert. Sexueller Overkill, in allen Medien. Sogar das Wort «Erotik» ist für sexuelle Veranstaltungen geklaut worden. Konsequenz: Immer mehr Menschen werden bei der Vorstellung und Visualisierung gestylter und gedopter Fleischklopskörper und Hormonmonster, die in sexueller Praxis aneinander klatschen, abgeturnt, nicht angeturnt. Immer mehr Menschen werden zum Zölibatär. Immer mehr Menschen reden über Sex, aber sie «haben» gar keinen mehr. Sie sagen sich: Wenn schon, dann doch lieber nicht. Erstaunlich? Nein. Es ist also nicht nur dieser Zwang zur körperlichen und sexuellen Unmittelbarkeit, der abturnt, es ist auch die unser Gehirn überschwemmende sexuelle Bilderflut, die es uns immer schwieriger macht, sexuelle Wege – und Worte dafür – zu finden, sexuelle Eigenbewegungen also zu entwerfen, die uns gefallen könnten.

Ad fünf: Wenn unser Gehirn unser größtes und wichtigstes Geschlechtsorgan ist, scheint es unmittelbar klar zu sein, daß viele Menschen in der Postmoderne keinen «guten Sex» haben können, da ihnen schlicht die Vorstellungskraft dazu fehlt. Alles klar?

Ad sex: «Guter Sex»? Ach nee!



Kommentare:

4. Dezember 2000

Lieber Helmut,
nachdem ich die Beiträge des Skepsis-Reservats gelesen habe, dachte ich mir schon, daß irgendwann mal was über Sex kommen würde, aber mehr so Cybersex, Sex alleine und so. Und eigentlich wollte ich dann mal gegen eure ganze Richtung und General-Linie wettern. Ihr haut ja immer auf die Postmoderne oder Postpostmoderne drauf. Und da geht es einem nicht so gut. Schließlich müssen wir ja heute hier leben. Wir sind noch ziemlich jung, weißt Du? Und dann habe ich lange mit meinem Freund über alles gesprochen, und der fand deinen Sex-Artikel gut. Na, und dann haben wir weiter darüber gesprochen, und jetzt sehe ich auch einigermaßen schwarz, was so Beziehungen (ich hasse dieses Wort) angeht, oder Miteinander (ich hasse dieses Wort). Und jetzt bin ich schon sehr deprimiert. Und in der Rubrik «Vom Leben/Vom Suizid» steht noch nichts. Achtet mal auf das, was ihr da so schreibt!
Liebe Grüße von
Torsten

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26. Februar 2001

Lieber Torsten,
uh, wie dunkel. Und in der Rubrik «Vom Leben/Vom Suizid» steht doch was. Möchtest Du ein wenig Licht? Dann begib Dich in die «gemütliche Kammer am Ende der Welt».
Liebe Grüße!
A.P.Feldmann



Erstellt: 1. Dezember 2000 – letzte Überarbeitung: 26. Februar 2001
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