BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Über die Sakralisierung der Ökonomie» von Edna Lemgo
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(an Stefan Bärnwald,
verweilend auf den
Türmen des Schweigens)

Werte Freundinnen und Freunde dieses unzeit- und unsachgemäßen Refugiums!

Gestatten Sie mir eine popkulturelle Eröffnung, da wir uns gleich in die Hamburger Schule, genauer: in die ehemalige staatliche Gewerbeschule für Bauhandwerker in Hamburg Barmbek-Süd begeben werden. Wie sangen Tocotronic, vor ihrer erniedrigenden Anbiederung an das kultivierte Bürger- und Spießertum, dareinst?

Mein Hass auf all die Deppen
Ist nach wie vor sehr groß
Auf den Gipfeln der Verzweiflung
Ist immer noch was los.


In einem juvenilen Popsong die Spur zu E. M. Ciorans monumental missachtetem Frühwerk «Auf den Gipfeln der Verzweiflung» zu legen, ist natürlich große Kunst. Aus der Verzweiflung kreativen Hass zu schöpfen, ist die Quelle der allergrößten Kunst, aber dies bitte hochachtungsvoll, nur en passant, flanierend.

Wo wollte ich denn noch hin? Ach ja, Kunst. Mit unseren in der Zwischenzeit hübsch antiquarisch angegilbten Arbeitspapieren und Wirklichkeitsprüfungen haben wir bekanntlich Kulturgeschichte be- und geschrieben. Erinnern Sie sich vielleicht noch an unser wunderbares «Arbeitspapier Nr. 14», mit seinen auf ewig gültigen «Zeitgemäßen Betrachtungen» zu den ruinösen Residuen der durch das Kapital pervertierten postmodernen Ideologien?

Ja? Nein? Egal, bitte greifen Sie doch hinter sich in das Regal oder schauen einfach hier. Besser noch, Sie lesen auch noch einmal unser «Arbeitspapier Nr. 15»: «Moderne 2.1: Die Arbeit und ihr ‹Ich›». Als Doppelpack. Sehen Sie, in hübscherem Aschfahl lässt sich die Sakralisierung der Ökonomie und die in sie eingeschriebene Angstkultur nicht besingen. La-Di-Da-Di-Da Di-Da-Di-La-Di-Da-Di-Da. Und schließlich und endlich wird unsere Dystopie sogar noch garniert mit einem zuckersüßen Tupferl Hoffnungsschimmer. So nett und neunmalklug waren wir und wollen es auch bleiben. Daher zur freundlichsten Erinnerung und Einladung noch einmal das bei Andreas Urs Sommer entlehnte Motto unseres gesegneten Arbeitspapieres Nr. 14: «Was von der Postmoderne übrig blieb - Zeitgemäße Betrachtungen»:

«Jener Behemoth des Marktes, dem die Religion so viel Würde leiht, fordert all die Jüngerschen Kriegertugenden – von Gerissenheit bis Nibelungentreue, von Willensmacht bis sacrificium intellectus – und scheint sie großartig nicht bloß in Frage zu stellen. Der Krieg des Marktes ist unzweifelhaft der Ernstfall. Und lohnt, wie die allermeisten Kriege, seinen Preis nicht.»

Nun ja, dies theoretisch nett in Worte zu kleiden ist das Eine, zumal in diesen Zeiten der dritten Gegenaufklärung. Ewige Impotenz der Schrift, schon klar. Demgegenüber uns willfährigen Gesellschaftsinsassen diese Sakralisierung der Ökonomie am eigenen Leib erfahrbar zu machen und uns vollkommen unvermittelt mit der in sie eingeschriebenen Angstkultur zu konfrontieren, dies wäre sicher das Andere und schiene uns die wohl größere Kunst.

Dies bringt uns nun endlich, wie versprochen, in die ehemalige staatliche Gewerbeschule für Bauhandwerker in Hamburg Barmbek-Süd. Willkommen zurück bei SIGNA.

In der stillgelegten Gewerbeschule geschieht in Form der aktuellen Performance-Installation «Söhne & Söhne», unter Leitung des höchst geschätzten Ehegespanns Signa und Arthur Köstler, nämlich derzeit just gerade genau dies. Wo unsere Schrift ehedem in 2003 endete, geht das vorzügliche Ensemble der Aufführung auf dem Boden von Giorgio Agamben nun fulminant weiter und darüber hinaus. In einer viszeral er- und angreifenden Inszenierung wird das Publikum vor eben jenen, von der Religion zu Würde und Allmacht empor gehobenen, Behemoth des Marktes gezerrt.

Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion ist Ökonomie ist Religion etc. etc. etc.

Sollten Sie noch an einen Ausweg aus diesem absurden Mysterium glauben, aber leider nicht zu den auserwählten unglücklichen Neuanstellungen der seit ewig auf ewig und allüberall tätigen Unternehmung «Söhne und Söhne» gehören, sei Ihnen die Kontemplation der Ikonographie wärmstens ans Herz gelegt, in die die Firmenphilosophie wie in ein magisches Sigillum eingeschrieben ist. Womit also alles gesagt wäre. Et vice versa ad infinitum. Elatus.

Ins Netz gestellt am 12. November 2015
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