BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Das pädagogische Gewissen - Stimmen (5):
Zur Paradoxie des Motivations-Begriffs» von Tom B.
Als PDF-Datei laden

Ouvertüre

Studienseminare sind interessante Einrichtungen, deren Erfahrung wohl jedem zu gönnen ist, der sich auf den steinigen Weg begibt, eine der meist gehaßten Berufungen Deutschlands auszuüben. Nun, geneigter Leser, geneigte Leserin, da ich Ihnen schon über ein ‹Prometheus-Paradigma› und die ‹Kernkompetenz Hellsehen› berichtet habe, und Sie sich vermutlich schon gefragt haben, ob der Autor dieser Zeilen ein ‹Idealist oder Zyniker› sei, werden Sie kaum vermuten, daß er mittlerweile zu einem Beamten auf Wiederruf aufgestiegen und somit ein Teil der Praktiker unserer deutschen - oder besser der bayrischen - Bildungselite geworden ist.

Auch in neuer Position und in neuer Umgebung werde ich Sie, geneigter Leser, geneigte Leserin, mit Beobachtungen erfreuen. Diesmal begebe ich mich in betont praxisorientierte Schulstunden für Erwachsene und berichte über eine nette Begebenheit aus dem Bereich der Psychologie. Junglehrer geben in einer dieser Stunden ihre Wünsche zu Protokoll, und darunter finden sich, neben allen anderen Standards, auch die klassischen Fragen, wie man denn Schüler ‹motivieren›, wie man ‹Motivation› im Unterricht also ‹herstellen› kann.

Tja, bei solchen Fragen stutzt man eine Weile, bleibt gedanklich stehen und fühlt sich an Didaktik- und Pädagogik-Seminare an der Hochschule erinnert, in denen ‹Motivation› ausführlich als ‹Sachverhalt› behandelt wurde - und man erinnert sich an alte Magenschmerzen bei diesem Thema. Die Kolik klingt zwar ab, aber der Schmerzen verursachende Gedanke bleibt. Also, fragen wir, wo liegt das Problem mit der ‹Motivation›, wo liegt das Paradoxon versteckt, das im Titel dieses Traktätchens angekündigt wird?


Motivation, oh flüchtiges Gut...

Der Lehrer sucht sie, der Schüler verliert sie, doch kaum jemand in einer normalen Schule findet sie, die Motivation. Na gut, das ist nun sehr poetisch, doch Motivation ist nicht schwer zu definieren. Die Psychologen sehen Motivation sehr vielfältig, allein schon, weil Motivation am Ende wohl das ist, was einer der entsprechenden Tests mißt. Am ehesten läßt sich von dieser Stelle wohl nur sagen, daß Motivation ein Sammelbegriff für irgendwelche ‹Kräfte› ist, die den Menschen dazu bringen sollen, irgendetwas zu tun. Hierbei unterscheidet die Psychologie - und in ihrem Kielwasser naturgemäß auch die Didaktik und Pädagogik - zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Dabei wird übrigens die intrinsische Motivation der konstruktivistischen Psychologie zugeschrieben, während die extrinsische dem bösen Behaviorismus zugeordnet wird. Das klingt nun so, als könnte man auf einer sozialkonstruktivistischen Seite - wie dieser hier - kaum etwas dagegen sagen, doch Sie, lieber Leser und liebe Leserin, dürfen nun dabei zusehen, wie ein kleiner Konstruktivist gegen den Modekonstruktivismus redet.


Extrinsische vs. Intrinsische Motivation - ein Schattenkampf.

Wie bereits erwähnt, wende ich mich nun gegen ein Konzept, das im handelsüblichen Didaktikhandbuch als konstruktivistisch verkauft wird: Die sogenannte intrinsische Motivation. Wodurch zeichnet sich diese nun aus, und wo ist der Unterschied zur extrinsischen Spielart? Nun, gehen wir von letzterer aus, denn dann entspinnt sich das Problemfeld leichter. Extrinsische Motivation soll man immer dann antreffen, wenn äußere Faktoren das Handeln bedingen, wenn also der Reiz, der Anlaß, der Impuls, der Anstoß, der Ausgangspunkt, der Beweggrund für eine Handlung von außen kommt. Strafandrohungen oder schlechte Schulnoten sind somit extrinsische Motivatoren. Ihr Chef oder Ihr Vorgesetzter ist übrigens auch einer. Extrinsische Motivation soll sich also überall da ergeben, wo soziale Bedingungen bestimmte Erwartungen an uns stellen.

Bei der intrinsischen Variante ist das ganz anders. Hier soll der Impuls für eine Handlung aus dem Menschen selbst kommen, er selbst soll Triebfeder und Quelle seines Tuns sein, er selbst soll eine Handlung ‹ihrer selbst wegen› ausführen wollen. Die Eleganz der Unterscheidung zwischen extrinsisch und intrinsisch und ihre Bedeutung für die moderne Pädagogik und Didaktik wird nun langsam klar. Im Sinne des ‹modernen Pädagogen› ist natürlich intrinsische Motivation zum Lernen viel besser als eine, die daher rührt, daß äußere Faktoren, wie Lehrer oder Eltern auf das Kind einwirken. Intrinsische Motivation ist also das natürliche hohe Ziel moderner Menschenbildner, die sich autoritäre Methoden als Feindbilder auf ihre Fahnen geschrieben haben. So weit, so gut, und dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wären da nicht ein paar grundsätzliche Probleme, die mir meine Magenschmerzen bescheren. Denn so einfach ist das mit der intrinsischen Motivation dann doch nicht. Sie ist nämlich nicht nur ein hohes Gut, sondern an sich auch sehr flüchtig.

Denn wann findet man schon einmal eine Situation, in der sich in einem jungen Menschen ein ‹spontanes Verlangen› etwa nach dem Erlernen der Trigonometrie bildet? Zwar ist dies durchaus möglich, aber meist werden Interessen dieser Art eher durch das soziale Umfeld und bestimmte Förderungen geweckt. Nun könnte sehr wohl das Argument ins Feld geführt werden, daß sehr kleine Kinder doch gerne krabbeln und dabei die Welt entdecken. Aber hier stellt sich die Frage, ob das tatsächlich so intrinsisch ist, wie man denkt. Schaut man sich den tot zitierten Lawrence Kohlberg mit seinen ‹Stufen der Moralentwicklung› an, so läßt das unter der Prämisse, daß Kinder seit ihrer Geburt einen dauerhaften Sozialisierungsprozeß in der menschlichen Gemeinschaft durchwandern, zumindest die Frage zu, ob nicht ein Teil dieser frühkindlichen ‹intrinsischen› Motivation, die aus dem Kind zu kommen scheint, durch seine wohlwollenden Eltern produziert wurde, weil sie dessen Neigungen eben nicht bestrafen oder mißachten, sondern durch kommunikative Gesten belohnen. Es kann also hier schon möglich sein, daß angeblich intrinsisches Verhalten eigentlich äußere Ursachen hat. Im späteren Leben wird dies umso gewisser. Schulkinder im Grundschulbereich bekommen vielleicht keine Noten, haben aber Eltern und Lehrer, die Anforderungen stellen. Später wird man dann dauerbewertet, und die spontane Lust zum Lernen und zu vielen anderen Tätigkeiten, die andere als sozial wertvoll deuten, läßt nach und nach nach.


Von der Wichtigkeit nicht zu demotivieren.

Der Schluß aus dieser kurzen Betrachtung liegt nahe: ‹Motivation› ist ein Minenfeld, insbesondere, wenn man möchte, daß diese bei irgendeiner Zielgruppe vorhanden sei und bleibe. Bei der extrinsischen Motivation scheint dies leicht zu sein, aber die Zielgruppe stumpft natürlich bei jeder extrinsischen Einwirkung ab. Man kann nicht endlos drohen oder loben. Eine extrinsische Motivierung von Schülern kann also nicht dauerhaft effektiv für pädagogische Zwecke sein, was übrigens Jahrhunderte an Tradition äußerst extrinsischer Mittel im Bildungssektor auch belegen.

Intrinsische Motivation wiederum, auch wenn sie erwünscht und das hohe Ziel jeglicher modernen pädagogischen Bemühung sein sollte, entzieht sich doch am Ende dem Einfluß des jeweilig pädagogisch Tätigen, da die Faktoren, die diese Motivation bestimmen, nun mal so vielseitig sind, daß sie sich wohl nur in den Labors der empirizistischen Psychologen verwirklichen lassen. In der Praxis ist es schlicht unmöglich, die intrinsischen Faktoren der Motivation von Schülern herauszufinden, denn dafür müßte man hellsehen können, noch zu beeinflussen, denn hierfür bräuchte man eine Klassenstärke von eins.

Wir stehen also vor dem Dilemma, daß wir in den üblichen Schulstunden für Erwachsene zwar genau gesagt bekommen, was die beste Art von Motivation sei, aber daß genau diese Art von Motivation so ideal wie flüchtig ist. Und die schlechtere Art von Motivation kann nicht dauerhaft funktionieren. Ein Wechsel der Blickrichtung tut also Not, fort von den positiven Vorschriften, die man so gerne erfüllen würde, und hin zu einer eher negativen Definition. Diese bewahrt dann auch vor den Magenschmerzen im Studienseminar, denn die Frage: «Wie kann man Motivation halten?» ist nicht nur sinnvoll, sondern auch beantwortbar.

Aus den Betrachtungen über extrinsische und intrinsische Motivation läßt sich hier - in aller Kürze - zuerst empfehlen, Lob und Tadel nur in homöopathischen Dosen und nur mit einer direkten Verbindung zur aktuellen Tätigkeit des Lernenden zu verwenden. Unsicherheiten über die Rückmeldungen der jeweiligen lehrenden Instanz sind schließlich ein Hauptgrund für das Versiegen von Motivation bei den Lernenden. Zum zweiten schlage ich vor, zu versuchen, sozial möglichst neutral aufzutreten, um nicht die verschiedenen sozialen Bedingungen für intrinsische Motivationen zu stören oder zu zerstören. Hierzu ist eine einfache grundlegende menschliche Fähigkeit sehr nützlich, die im mechanistischen Lehrbetrieb manchmal untergeht: Empathie.

Schöner kann ich einen Text über Motivation ja nun kaum beenden. Weswegen hiermit dieser kleine Ausflug in die Untiefen der Bedingungen von Lern- und Leistungsbereitschaft beendet sei. Es steht zu hoffen, daß irgendwann auch die Magenschmerzen nachlassen.



Erstellt: 17. Oktober 2007 - letzte Überarbeitung: 18. Oktober 2007
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
Alle Rechte vorbehalten.
Bitte senden Sie weitere Kommentare zu diesem Text per E-Mail
an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.