BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Der Teflon-Mann: Eine Fallstudie»
von Henriette Orheim
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«Sie ruinieren uns alle Frauen, mein Herr Dichter,
indem Sie Ihre Ansprüche an den Mann
und seine Art und Weise vergrößern!»
«Ich sehe es ein, daß es taktlos von mir ist,
die Frauen darauf aufmerksam zu machen,
daß der Mann ein Wesen von unendlicher Kultur sein sollte!»
«Wohin kämen wir, bitte,
wenn wir nur immer den Idealen nachhängen würden?!?»
«Zu den Idealen!»
(Peter Altenberg) [1] Peter Altenberg: Märchen des Lebens. S. Fischer Verlag Berlin, 1911, 3. Auflage, Seite 170.

«Frauen wollen sich mit der tief empfundenen existentiellen Einsamkeit
in ihrer Liebe zu jemandem nicht zufrieden geben.
Sie wollen mehr.
Männer finden sich damit ab,
denn sie haben nie etwas anderes erwartet.»
(Albertine Devilder)

Vor kurzem besuchte ich eine alte Freundin in München. Wir haben vor Jahren zusammen studiert und freuen uns immer sehr, wenn wir uns gelegentlich wieder einmal treffen. Meine Freundin hatte mir schon vor ein paar Monaten erzählt, sie wohne jetzt mit einem ‹neuen› Mann zusammen, und da war ich bei meinem Besuch naturgemäß ziemlich gespannt, mit welchem Musterexemplar und Einzelstück von Mann sie in diesen für Liebesbeziehungen schwierigen und seltsamen Zeiten nun einen neuen Versuch starten würde. Nun ja, schon wenige Minuten nach meiner Ankunft in ihrer Wohnung und nach einigen nur ganz kurzen Diskurssequenzen mit diesem Mann hatte ich ein intensives so genanntes Déjà-vu-Erlebnis, allerdings tauchte in meinen Vorstellungen keine Erinnerung an einen konkreten Mann auf, sondern an einen Text im Skepsis-Reservat, den ich vor vielen Jahren zusammen mit Tanja Bracelet schrieb: Der Teflon Mann. Huh, schön war das nicht. Ich bekam eine Gänsehaut, denn ich dachte: Dies ist ja ein Teflon-Mann in Reinform!

Da uns dieser Mann die meiste Zeit in Ruhe ließ, hatte ich mehrere Gelegenheiten, mit meiner – offensichtlich sehr unglücklichen, aber immer noch kämpferisch gestimmten und auf eine ‹Besserung› hoffenden – Freundin alles zu besprechen. Sie sagte selbst, ihr derzeitiger Freund sei keinesfalls ein ‹Dies-und-das-ist-so-und-so-Mann›, nein, und – leider – hätte sie auch schon seit einiger Zeit den Verdacht, daß dieser Mann wie ein Kunststoff sei, der gegen Beziehungs-Hitze und andere diskurstechnische Einwirkungen beständig sei und von dessen Oberfläche alles abperle. ‹Abperlen›, genau das sagte sie. Nun, ich tröstete sie mit einem meiner Lieblingsaphorismen von Peter Altenberg, dem großen Durchschauer der Frauen:

«Die Frauenseele ist bescheiden: Sie sucht Jesus Christus und Napoleon, Diogenes und Hölderlin vereint in einem Wesen! Diese einzige Wahrheit des noch Lüge-losen und Conzessions-freien Herzens nennen die Hunde: Backfisch-Träume!» [2] Peter Altenberg: Wie ich es sehe. S. Fischer Verlag Berlin. 16. Auflage von 1922. Seite 170.

Am nächsten Tag hatten wir viel Zeit für uns, und nachdem wir uns noch einmal den Traktat «Die Wahrheit über Männer und Frauen» von Albertine Devilder und mir im Skepsis-Reservat angeschaut und über «Das Erbe der modernen Erzählung» und «Das Versprechen der postmodernen Erzählung» diskurriert hatten, kam uns eine tolle Idee: Wir machen eine Wirklichkeitsprüfung über den Teflon-Mann und schreiben aufgrund sorgsamer Beobachtungen eine Fallstudie! Gesagt, getan. Hier ist sie:


Das Diskursverhalten des Teflon-Manns

Es folgt eine Zusammenfassung der wesentlichen und besonders auffälligen Punkte.

  • Der Teflon-Mann trägt im Diskurs niemals inhaltlich oder thematisch etwas bei, führt niemals den Gedanken einer anderen Diskursteilnehmerin fort, stimmt niemals irgendeiner Äußerung einer anderen zu, bestätigt auch niemals darüber hinaus gehend die Weltsicht einer anderen, sondern greift gesprochene Inhalte anderer nur auf, indem er diese ganz kurz und knapp bewertet, beurteilt, verurteilt oder einfach dem Gesagten knapp widerspricht. Kurz: Beiträge anderer perlen an ihm ab, wie von einer Teflon-Oberfläche.
  • Zwei Beispiele aus dem Sprach-Baukasten des Teflon-Mannes sprechen für sich und den ganzen Rest möglicher Äußerungen: Jemand sagt: «Ich finde dieses ‹Schwarz› ganz schön!» Der Teflon-Mann antwortet entweder «Es gibt auch andere schöne Farben!» oder «Das ist nicht schwarz, sondern dunkelgrau!» Jemand sagt: «Meine Mutter war der Inbegriff von Übergriff und Intrusion!» Der Teflon-Mann antwortet entweder «Meine Mutter war sehr nett!» oder «Es gibt auch nette Mütter!» Mit diesen sehr einfachen Konstruktionsregeln läßt sich das Diskursverhalten des Teflon-Manns ganz wunderbar nachspielen und imitieren.
  • Die kurzen, bewertenden oder widersprechenden Beiträge des Teflon-Manns zu den Äußerungen anderer werden begleitet von einer ganz spezifischen Mimik. Diese Diskursmimik des Teflon-Manns besteht niemals aus einem Lächeln, da die Augen nicht lächeln, sondern während seiner Äußerung nach links oben schauen. Die untere Gesichtshälfte verzieht sich zu einem kurzen Grinsen, das im schnellen Wechsel mit einem ernsten, maulenden oder gar vorwurfsvollen Ausdruck gezeigt wird. Kurz: Der Teflon-Mann zeigt in Diskursen keinerlei positive Emotionen und exaltierte schon mal gar nicht, er wirkt unberührbar, streng und – überheblich.
  • Der Teflon-Mann spielt den Besserwisser, ist aber kein Besserwisser, denn er trägt von seinem möglichen Wissen niemals etwas bei. Seine kurzen Bewertungen der Beiträge anderer können oder vielleicht sollen den Eindruck erwecken, daß er etwas besser weiß. Oder anders: Der Teflon-Mann offenbart nicht sein vorgebliches Wissen, verweist aber mit seinen bewertenden Kurzäußerungen verbal und vor allem auch nonverbal auf ein vermeintliches Wissen, ohne dies jedoch je zu explizieren. Wir erfahren nichts von den Konstruktionen, die für ihn wichtig sind.

  • Fazit des Diskursverhaltens: Ein Diskurs in einer Dyade oder in einer Gruppe macht beim Teflon-Mann keinen Unterschied. Er bleibt sich immer gleich, denn er ist immer bei sich, nie bei den anderen. Ein Diskurs mit einem Teflon-Mann ist also gar kein Diskurs, weil wichtige Merkmale eines Diskurses wie turntaking, tit-for-tat, Entwicklung von Ideen, Durchdenken eines Faszinosums etc. etc. fehlen. Der Teflon-Mann denkt nicht mit, er denkt dagegen.


    Das weitere Sozialverhalten des Teflon-Manns

  • Der Teflon-Mann bleibt unter allen Umständen und in jeder Lage unverbindlich, er läßt sich auf nichts ein, keine Vereinbarungen, keine Beziehung, keine Liebe.
  • Der Teflon-Mann gibt in sozialen Räumen nichts – und er nimmt auch nichts.
  • Der Teflon-Mann verweigert eine persönliche, kognitive, emotionale Beziehung zu allen Rauminsassen, nicht nur zu derjenigen, mit der er angeblich eine Beziehung unterhält. Daß seine Beziehungspartnerin sowie weitere Besiedler momentaner sozialer Räume, in denen er ‹anwesend› ist, sein Verhalten äußerst befremdlich finden, scheint ihn in keinster Weise zu stören oder zu irritieren. Vielleicht freut er sich auch darüber, daß er so ‹anders› ist als die anderen?
  • Die Verwendung des Wortes Teflon erscheint im Zusammenhang mit seinem Sozialverhalten überaus angemessen. Nichts von außen auf ihn Einwirkendes haftet an ihm oder hinterläßt irgendwelche Spuren, er hat eine völlig kratzfeste Oberfläche, mit einem Kratzen irgendwelcher Art (kognitiv, emotional, physisch) kommt man bei ihm nicht weiter, da er ein Kratzen nicht als Kratzen wahrnehmen kann.


  • Überlegungen zum ‹Ich› des Teflon-Mannes

    Achtung, Psychologie: Wir vermuten, daß nichts dem Teflon-Mann wichtiger ist als seine von ihm empfundene Identität, sein wohl und sorgsam konstruiertes Ego, selbst wenn seine bemerkenswert zyklopischen Grundsätze und sein Weltzugang sich in einer kurzen und albernen Dichotomie zusammenfassen lassen. Das ist naturgemäß bei sehr vielen Männern – und anderen Menschen – genau so. Doch der Teflon-Mann konstruiert sein ‹Ich› durch dauernde Abgrenzung, das ist ihm eigen, das gehört ihm, und darauf ist er – vermutlich – stolz.



    Erstellt: 21. März 2009 – letzte Überarbeitung: 19. Juni 2009
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