BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Elizabeth Taylor: Versteckspiel»
von Henriette Orheim
Als PDF-Datei laden

«Jenseits ihrer Vertrautheit und Nacktheit
spürten sie inzwischen ihre wahre Isolation
und waren einander fremder als Menschen,
die auf der Straße aneinander vorbeigingen.»

Die britische Schriftstellerin Elizabeth Taylor (1912 - 1975) ist hierzulande nicht besonders bekannt. Das ist schade, denn ohne zu übertreiben finden wir, daß sich in ihren Werken Einflüsse ihrer literarischen Ahnen Jane Austen und der Brontë-Schwestern finden lassen. Dieser coole britische Stil, diese coolen Dialoge, diese coole Verzweiflung! Wie erfreulich ist es, daß der Schweizer Dörlemann Verlag nun einen zunächst 1951 erschienenen Roman von Elizabeth Tayor neu aufgelegt hat. [1] Elizabeth Taylor (2013): Versteckspiel. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Zürich: Dörlemann Verlag AG. Die Originalausgabe hat den Titel ‹A Game of Hide and Seek›

Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, unsere ‹Buchgeschichten› schätzen, dann wissen Sie, daß wir ein Faible für britische Autorinnen haben. Wir mögen Jean Rhys‘ ‹Sargassomeer›, Nancy Mitfords ‹Englische Liebschaften›, George Eliots ‹Middlemarch›, Charlotte Brontës ‹Jane Eyre›, Jane Austens ‹Stolz und Vorurteil›, Anne Brotës ‹Herrin von Wildfell Hall›, aber nicht nur sie.

Und wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, unsere Buchgeschichten aufmerksam verfolgen, dann freuen sie sich darüber, wie wir hier nicht nur Autorinnen schätzen, die genau hinsehen, die beobachten können, die uns spüren lassen, was hinter den Dialogen wabert, nein, Sie, genau wie wir, sind immer wieder fasziniert von einer Ästhetik des Scheiterns, einer Kunst des Wartens, einer Schule der Vergeblichkeit. Das erinnert Sie an William Alexander Gerhardies ‹Vergeblichkeit›? Genau.

Und nun also Elizabeth Taylor. Was sie uns in diesem Roman erzählt, ist nicht neu, kann nicht neu sein. Harriet, der Mittelpunkt des Romans, heiratet einen älteren Mann, doch nach dem willfährigen Sich-Einrichten in einer bürgerlichen Existenz und nach der Geburt einer Tochter, taucht nach fast 20 Jahren Vesey, die unerfüllte Jugendliebe, wieder auf und bringt sie um den Schlaf. Als Jugendliche hatten sie einst Verstecken gespielt, und die Szenen ihrer ängstlichen Annäherungen sind hinreißend beschrieben.

«Manchmal an den langen Sommerabenden, die ein so markanter Teil unserer Jugend sind, spielten Harriet und Vesey mit den kleineren Kindern Verstecken und liefen über die büscheligen Wiesen, die Schuhe gelb vom Blütenstaub der Butterblumen. Auf dem unebenen Boden kamen sie nicht schnell voran, doch das wollten sie auch gar nicht, denn die Kinder finden hieß, ihre Zeit zu zweit verlieren, und schneller laufen hieß, voneinander weglaufen. Das lockere Traben war ein aus Scheu und Unsicherheit geborenes Spiel. Beide wagten sie nicht zu glauben, dass der andere gern stehen geblieben wäre, und ihre Unerfahrenheit hinderte sie daran, es auszuprobieren.»

Doch nun sind sie erwachsen und müssen lernen, sich mit ihrer Liebe nicht mehr vor sich selbst und dem anderen zu verstecken. Und natürlich müssen sie sich überlegen, was geschehen könnte, wenn Harriet aus ihrem bürgerlichen Leben ausbrechen sollte.

Wie gesagt, dieser Plot ist nicht neu, doch wie er geschildert wird, ist großartig. Immer wieder richtet sich der Blick der Autorin auf Details in der Natur und auf den sozialen Rahmen, die beide die Bühne bilden für unsere eher mutlosen Hauptdarsteller. Und immer wieder gibt es literarische Querverweise, so liest etwa Charles, Harriets Ehemann, Jane Austens ‹Persuasion›, wenn er unmutig, ärgerlich oder gereizt ist.

Und diese Selbstzweifel Veseys!

«Er spürte, dass sich etwas verändert hatte, verloren gegangen war. Wie gern hätte er zu jemandem – und zu wem sonst als Harriet? – gesagt: ‹Ich kann nur scheitern. Erwarte nichts von mir. Irgendetwas ist defekt in mir, fehlerhaft, und das führt dazu, dass ich weder erfolgreich sein noch eine Niederlage zugeben, sondern dazwischen gefangen bloß zynisch warten kann – auf nichts und wieder nichts. Wenn man mich berührt, gebe ich einen schiefen Ton ab, wie gesprungenes Glas. Einen Ton der Grausamkeit oder auch der Verachtung.»

Und dieses Gespür Harriets, gescheitert zu sein!

«Charles, der in Gegenwart der anderen so viel zu sagen gehabt hatte, fiel nun nichts mehr ein. Er hatte seinen Mantelkragen bis zu den Ohren hochgeklappt, die Hände tief in den Taschen vergraben und saß zusammengekauert in der äußersten Ecke, weit von Harriet entfernt. ‹Die Ehe löst keine Rätsel›, dachte sie. ‹Sie schafft und vertieft sie nur›. Es war bedrückend, wie sie zusammen in diesem dunklen Raum eingesperrt und doch für immer gegeneinander abgeschottet waren.»

Ein tiefes, ein wunderbares Buch. Es gilt, Elizabeth Taylor zu entdecken.



Ins Netz gestellt am 15. Oktober 2013
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
Alle Rechte vorbehalten.
Bitte senden Sie Ihre Kommentare zu diesem Text per E-Mail
an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.