BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Sonnenhüter - Verdiente Helden des Spektakels»
(Wieder hervor geholt, revidiert und aktualisiert 2014)
von Albertine Devilder
Als PDF-Datei laden

«Alles Leben in Staat und Gesellschaft
beruht auf der stillschweigenden Voraussetzung,
daß der Mensch nicht nachdenkt.
Ein Kopf, der nicht in jeder Lage
einen aufnahmefähigen Hohlraum darstellt,
hat es gar schwer in der Welt.»
(Karl Kraus)

1. Die Gesellschaft des Spektakels

Helmut Hansen hat in seinem Essay ‹Im Auge des Spektakels› einen Blick auf unsere final-kapitalistische Gesellschaft geworfen, der genauer kaum sein kann. Er beschreibt, wie die ‹Herren des Wörterbuchs› (vgl. dazu auch die Erläuterungen in unserem Arbeitspapier Nr. 14) den öffentlichen – und damit auch den privaten – Diskurs so lenken, daß – ganz buchstäblich – niemand zur Besinnung kommt oder kommen kann, um über den alles verzehrenden Neoliberalismus nachzudenken. Helmut Hansen sagt es im o. g. Essay so: «Wir leben in einer spektaklistischen Zeit, in einer Gesellschaft des Spektakels. Ein Tag, eine Stunde, ja eine Minute ohne Spektakel ist in diesem Leben kaum vorstellbar.» [1] Eine Viertelstunde vor dem Ende eines Spiels der 1. Fußball-Bundesliga in Deutschland kauern etwa 20 bis 30 Fotografen direkt vor der Bank eines Trainers und haben nur sein Gesicht im Visier, nicht das Spiel. Da fällt ein Tor. Sofort rennen alle (!) Fotografen 20 Meter weiter, kauern sich auf dem Boden direkt vor der Bank des anderen Trainers nieder und nehmen sein Gesicht ins Visier, nicht das Spiel. Der Sinn des Ganzen? Es könnte sein, daß einer der Trainer nach diesem Spiel entlassen wird.

Was ist das Spektakel? Das Spektakel ist das Spektakel, es spektakelt und läßt wehrlos spektakel-süchtigen Kulturinsassen keinen anderen denkbaren sozialen Raum außerhalb des Spektakels. Denn im Sog des Spektakels gibt es keine einzige wichtige Frage mehr, dafür aber Millionen unwichtige Antworten. Was also ist das Spektakel? Guy Debord: «Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält.» [2] Guy Debord (1996): Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin: Edition Tiamat. Seite 21.

Die wichtigsten Spektakel-Medien sind naturgemäß das ‹TV›, und hier insbesondere das ‹öffentlich-rechtliche›, das den Staat ‹tragende›, die Schmierlappenpresse, aber auch die im Dienste der Herrschenden aus Wirtschaft und Politik stehenden und sich dauerhaft prostituierenden Mainstream-Medien, und große Teile des Internets, in dem ununterbrochen Blogger, Foristen und ‹Journalisten› das Spektakel füttern. Pausen für eine ethische Besinnung kann es nicht geben. Der inhaltlichen und ästhetischen ‹Macht des Boulevards› können Kulturinsassen nur mit Mühe entgehen.

Denn das Spektakel fordert in dieser ‹ununterbrochenen Rede› zum unbedingten Gehorsam gegenüber dem Bestehenden auf – eben in der Verpflichtung auf das Spektakel. Wir müssen ja sagen zum immer währenden Spektakel, denn das Spektakel hält unsere Welt zusammen. Wir müssen permanent ja sagen, denn Zustimmung zum status quo, Bestätigung des Währenden, Bekräftigung dessen, was vermeintlich ‹ist›, ein ja zu dem, was bleibt und unbedingt bleiben soll, ist für unsere final-kapitalistische Lebensform unabdingbar! Helmut Hansen sagt es: «Erwünscht sind Nickesel». Nickesel gehen auch – immer seltener – wählen. Das Resultat ist bekannt.

Ein Verneinen, ein Sich-Entziehen erscheint allen wehrlos spektakel-süchtigen Kulturinsassen unmöglich, sie meinen, daß das weit über ihre Kräfte gehe. Denn «das Spektakel [stellt sich] als eine ungeheure, unbestreitbare und unerreichbare Positivität dar. Es sagt nichts mehr als: ‹Was erscheint, das ist gut; was gut ist, das erscheint.›» [3] Guy Debord, a.a.O. Seite 17. Das ist ein zentraler Punkt. Es gibt etliche Menschen, die nur wichtig sind, weil sie im TV erscheinen. Und weil sie dort erscheinen, sind sie wichtig. Aber ohne die Konnotation der Positivität würde das nicht funktionieren. Das Spektakel an sich ist also immer positiv, bis hin zu den schändlichsten TV-Formaten, die man sich nur ausdenken kann.

Das Spektakel hat nun die Aufgabe, die Regierten und Dirigierten mit einem Füllhorn von Belanglosigkeiten immer wieder müde zu machen, sie zu jeder Stunde im Schlaf der Gerechten zu wiegen. Die so vom Spektakel Absorbierten dürfen niemals aufwachen und sich um Belange kümmern, um die sie sich nicht kümmern sollen. Und wer sich erst einmal dem Spektakel ergeben und sich als Person aufgelöst hat, dem erscheint das Spektakel wie «[…] die Sonne, die in dem Reich der modernen Passivität nie untergeht.» [4] Guy Debord, a.a.O. Seite 17.

Das Spektakel als Wächter des Schlafes, das Spektakel als die einzige und letzte Sonne, die über unserer Kultur strahlt und leuchtet? Wenn das so ist, dann muß es doch auch Wächter, Hüter geben, die dafür sorgen, daß die Sonne niemals untergeht!? Es gibt sie. Und wir kennen sie.


2. Die Sonnenhüter

Schafhirten in Arkadien und Nachtwächter in einer Bank können wir uns ja noch einigermaßen vorstellen, aber Sonnenhüter? Schauen wir uns diese für unsere Gesellschaft so wichtige Spezies an:

  • Was machen die Sonnenhüter?
    Na, sie hüten die Sonne, denn die Sonne des Spektakels muß Tag und Nacht in jedes Leben tief hinein scheinen, wie das ‹Auge von Mordor›. In unermüdlichen Einsatz sorgt der Sonnenhüter dafür, daß Menschen ihre Lebenszeit totschlagen, der ‹Straße fern bleiben› und damit die gegenwärtige Ordnung bestätigen.

  • Wie machen das die Sonnenhüter?
    In allererster Weise mit Hilfe des Fernsehens, der ‹schlimmsten Lichtquelle der Welt›. Artus P. Feldmann hat in seinem gleichnamigen Essay in 10 Thesen skizziert, was das Fernsehen anrichtet. Wir werden das hier nicht wiederholen. Nur soviel: Damit die Formate des TV belanglos bleiben, damit der Schlaf nicht gestört wird, damit die Sonne über unserer Kultur niemals untergeht, werden komplexe soziale Prozesse auf Personen, und Personen auf Gefühle reduziert. Und jedes Thema oder Problem, das uns alle angehen könnte, wird in inszenierten ‹Talkshows› zerredet. Das reicht.

    Wenn sich im ‹Privatfernsehen› die psychisch und geistig Zerpatschten und Verstümmelten ihre angeblichen ‹Gefühle› ins Gesicht brüllen, sind die ‹Herren des Wörterbuchs› am Ziel. Und damit sich an diesen erwünschten TV-Formaten nichts ändert, ist immer ein Sonnenhüter, ein Aufpasser dabei, der die gerade passenden und dem jeweiligen Format gemäßen Affirmationsmantren aufsagt und streng darauf achtet, daß die Sendung, wie erwünscht und vorgesehen, in die Geist- und Besinnungslosigkeit leitet.

    Natürlich wird die Sendung auch grundsätzlich vorher aufgezeichnet. Denn man kann ja nie wissen. Mißtrauen ist immer angesagt. Kontrolle ist besser. Denn selbst heute noch besteht die allerwinzigste Gefahr, daß sich in einer ‹Talkshow› irgendein hergelaufener ‹Skeptiker›, ‹Gutmensch›, ‹Weltverbesserer› oder gar Kommunist nicht an die Grundordnung der spektaklistischen Kultur halten mag. Da sei der Sonnenhüter vor! Er sucht die Gäste persönlich aus, und sollte in einer ‹politischen› Talk-Veranstaltung wirklich mal einer ganz zufällig und ungebärdig einen angesagten und gefälligen Meinungssog verlassen und auf einen ungefälligen Gedanken kommen – und diesen gar aussprechen, dann fährt ihm der Sonnenhüter sofort ‹über das Maul›, entzieht ihm das Wort, und führt ‹seine Sendung› sicher ins botmäßig Zahme und Willige zurück.

    Noch einmal: Sollte sich in einer Talkshow wirklich mal jemand nicht auf das öffentlich-rechtliche Diskurs-Niveau begeben wollen, sollte sich wirklich jemand heraus nehmen, auf gravierende Probleme unseres Gemeinwesens hinzuweisen, dann wird ein Sonnenhüter auch schon mal frech und grantig: Dann läßt er mit seinem aggressiven Konformismus eine Kommunistin die von ihm gestellten Fragen gar nicht erst beantworten, dann unterbricht er sie in jedem Satz, dann ignoriert er ihre Antworten völlig, dann hält er ihr Äußerungen vor, die sie nie geäußert hat, dann läßt er Beleidigungen durch eigens engagiertes Hilfspersonal zu, dann beschimpft er das Publikum, weil dies es wagte, bei einem Halbsatz der Kommunistin zu applaudieren etc. etc. Das öffentlich-rechtliche System dankt dafür. Und alle sind wieder fröhlich!

  • Warum sind die Sonnenhüter Helden?
    Gerade weil sie keine besonderen Merkmale haben, über kein besonderes Wissen, keine eigentliche Bildung, kein Talent verfügen, nichts Wesentliches gelernt haben, nichts verstehen, weder sprechen noch zuhören können und somit unfähig sind, einen Diskurs zu moderieren. Sonnenhüter sind peinlich daher redende Kommunikationskatastrophen, die unsere Intelligenz zutiefst beleidigen. Aber sie sind perfekte Opportunisten, sie machen deutlich, daß sie auf der richtigen Seite sind. Sie zeigen: Wir sind die Guten, wir sind die Leistungsträger, wir sind die Säulen der Gesellschaft, wir sind diejenigen, die es geschafft haben. Und gerade weil sie eben nichts besonderes sind und aus der Mitte des schlafenden Volkes gegriffen wurden, wachsen sie zu Objekten der Bewunderung und Adoration heran, werden sie zu Ikonen der Öffentlichkeit! Aber warum Helden? Weil sie an vorderster Front des Spektakels auch mal dahin reden, wo es weh tut.

  • Welchen Auftrag haben die Sonnenhüter?
    Die Sonnenhüter sind Agenten. Sie sind Mediengesichter, die Aufträge erfüllen. Sie sind Systemjournalisten, ohne Journalisten zu sein. Sie betreiben ein Geschäft, dessen Hintergründe sie nicht verraten können, da sie sie nicht kennen. Und kennten sie sie, würden sie sie nicht verstehen. Und würden sie sie verstehen, würden sie sie erst recht nicht verraten. Die Sonnenhüter bemühen sich also sehr, die Fragwürdigkeiten und Belanglosigkeiten ihrer Darbietungen und des ‹Formats›, in dem sie erscheinen, zu verwedeln und die Wichtigkeit ihres Auftrages als Sonnenhüter zu verschleiern. Durchschauten sie ihren Auftrag, wäre ihr Engagement sofort beendet und ein anderer Sonnenhüter würde an ihre Stelle treten.

    Die Sonnenhüter als Agenten der Verhältnisse sollen sicher stellen, daß sich die öffentliche Meinung über irgendein Problem nicht unangenehm verschiebt. Die Sonnenhüter loben deswegen unermüdlich eben diese Verhältnisse, ja, ganz genau betrachtet tun die Sonnenhüter sogar so, als gäbe es gar keine Verhältnisse, sondern nur nette Leute in einem Land des Lächelns und der Gefühle. Damit sind wir wieder bei der o. g. Positivität. In allen TV-Sendungen geht es darum, gut drauf zu sein, lustig zu sein, jovial zu sein. Das Motto: Seht her, uns geht es doch gut. Klar, frauenfeindliche Zoten sind öffentlich-rechtlich immer erlaubt. Und Armut? Wo denn?

    Das öffentlich-rechtliche Medien-System erweist sich also als eine Art Propagandamaschine für die Herrschenden, und dabei bündeln sich alle spezifischen Aufträge an einen Sonnenhüter zu einem Generalauftrag: Zu ‹unterhalten›. Wen zu unterhalten? Das Publikum. Dies muß täglich solange ins Seichte getunkt werden, bis es hinreichend tranquiliert, ja geistig ertränkt worden ist. Und mit diesem Unterhaltungsauftrag sorgen die Sonnenhüter für wessen Unterhalt, für wessen Erhaltung, Instandhaltung und Pflege? Nun, sie sorgen für den Unterhalt der ‹Herren des Wörterbuchs› – und damit für den Bestand der gegenwärtigen Ordnung. Es ist wirklich beschämend zu sehen, wie öffentlich-rechtliche Sender, die mal mit einem Bildungsauftrag gegründet wurden, unter ihrer christlichen Herrschaft dazu verkommen, nur eine einzige politisch korrekte Wahrheit zuzulassen. Den Zuschauern wird von den Sonnenhütern nahe gelegt, was richtig und was falsch ist, Andersdenkende werden an den Pranger gestellt, und eine wirkliche politische Diskussion ist verpönt.

    Selbstverständlich ist auch für den Unterhalt der Sonnenhüter gesorgt. Sie lassen sich von den ‹Herren des Wörterbuchs› fürstlich entlohnen. Mit Millionen. Und damit sie auch wirklich genug ‹verdienen›, dürfen sie ihre ‹Sendungen› auch selbst produzieren und dann verkaufen. Toll.


  • 3. Zur Psychologie des Sonnenhüters

    Da ist also irgend ein Jemand, der ahnt, daß in diesen Zeiten nicht nur die allseits besungene ‹Ökonomie des Geldes› dominiert, sondern eben auch die ‹Ökonomie der Aufmerksamkeit›. Und dieser jemand dient sich hoch und hofft, daß die gegenwärtige Ordnung auf ihn aufmerksam werde, auf daß ihm Reichtum zuteil werde. Ist es dann erstaunlich, daß die Hüter der Sonne, die Großmeister des Spektakels so arg übereinstimmende Charakterzüge aufweisen? ‹Nicht wirklich!› [5] Es wäre eine eigene Untersuchung wert, all die Phrasen zu sammeln, die via Sonnenhüter in unseren Kosmos des Sprechens gewandert sind.


    3.1 Tonfall

    Spricht man mit klugen Menschen über die derzeitig angesagten und erfolgreichen Sonnenhüter, kommt man oft schnell zu der Frage, ob die Sonnenhüter sich nur verstellen, also ganz verschlagen nur so tun, als seien sie dumm, oder ob sie es wirklich sind. Ich finde, wir sollten da nicht lange nachdenken und zu einer raschen und wohltuenden Entscheidung kommen: Die Sonnenhüter sind dumm. Und sie verbreiten nur Dummheiten. Begründung? Sie baden in ihren Äußerungen im Allersagbarsten, keine Assoziation ist ihnen zu nahe liegend, keine Meinung zu trivial, als daß sie sie vermieden. «Man kann wetten, daß jede öffentliche Meinung, jede allgemeine Konvention eine Dummheit ist, denn sie hat der großen Menge gefallen.» [6] Nicolas Chamfort (1987): Ein Wald voller Diebe. Maximen, Charaktere, Anekdoten. Die andere Bibliothek. Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Band 31. Verlegt bei Franz Greno in Nördlingen. Seite 40. Und: «Es ist leicht erklärlich, daß die Unredlichen und selbst die Dummköpfe in der Welt immer besser fortkommen als die ehrlichen und die geistreichen Leute. Den Unredlichen und Dummköpfen fällt es leichter, mit dem Ton der Welt Schritt zu halten, der im allgemeinen aus Unredlichkeit und Dummheit besteht.» [7] Nicolas Chamfort, a.a.O. Seite 20.

    Mit ‹dem Ton der Welt Schritt zu halten›! Ach, haben wir so etwas Wunderschönes schon einmal von einem Sonnenhüter gehört? Nein, bestimmt nicht, denn die sonnenhüterischen Übergangswahrscheinlichkeiten von Sprachfigur zu Sprachfigur, von Stereotyp zu Stereotyp, von Floskel zu Floskel, von ‹Spruch› zu ‹Spruch› sind - nahe der eins, also so hoch wie beim Kleinbürger, der ja gerade eben dem Sonnenhüter zusieht und sich freut, daß er fast alles versteht. Entleerte Wörter.

    Aber Obacht, gerade weil sich die Sonnenhüter nur in konventionellen Phrasen bewegen, sind sie verdiente Helden des Spektakels. Denn sie sagen genau im richtigen Moment das, was alle Zuschauer auch hätten sagen können, wären sie nicht längst ihrer Sprache beraubt.


    3.2 Egozentrische Haltlosigkeit

    Die Sonnenhüter müssen nicht nur täglich zeigen, daß sie dem Volk aufs Maul schauen und damit vorführen, daß sich die gegenwärtige Ordnung sehr darüber freut, wenn die von der schlimmsten Lichtquelle der Welt Besänftigten und Eingelullten es mit dem Wort nicht mehr so genau nehmen, nein, sie müssen auch an ihrem eigenen Beispiel zeigen, was wichtig und was unwichtig ist. Oder anders gesagt, Sonnenhüter haben die äußerst wichtige Aufgabe, täglich zu beweisen, wie weit und flächendeckend wir es mit einem ‹Abschied vom Staat›, ‹Abschied vom homo politicus› und einem ‹Abschied von jeder Haltung› gebracht haben.

    Eine ‹Haltung› kann sich ein Sonnenhüter nicht leisten, er ist niemals für oder gegen etwas, allenfalls hat er mal ein Herz für Kinder, das ist klar. Und eine ‹politische Haltung› kann sich ein Sonnenhüter erst recht nicht leisten. Seine ‹politische Haltung› entspricht derjenigen der ‹Herren des Wörterbuchs›. Das weiß er aber nicht, und das ist ihm auch egal, da er sich nur um seinen ‹Oikos› kümmert, um die Mehrung seiner häuslichen Schätze.

    Folgerichtig weist ein Sonnenhüter jegliche politische Überlegung bezüglich seines Tuns zurück und besteht auf – seinem ‹Unterhaltungsauftrag›. Stellt man ihm Fragen, die seine Rolle in diesem final-exaltierten Spiel betreffen, kann er diese Fragen gar nicht verstehen. Nein, ganz und gar nicht. Er weiß nicht, was diese Fragen bezwecken sollen. Sie amüsieren ihn nicht einmal, so ratlos ist er. Er macht doch nur seinen Job und ist ganz und gar bei sich! Alle putativen Vorwürfe, die sich mit seinem Dasein als Sonnenhüter befassen, werden sogleich – mit einer beim ewigen Kanzler entliehenen und eingeübten großen Geste der Verständnislosigkeit – zurückgewiesen. Hören wir mal rein:

  • Input: «Durch Ihren Erfolg ist klar geworden, wie stark Elemente der Unterhaltung in Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur hineinwachsen.»
    Output: «Quatsch. Ich glaube, es ist gerade anders herum – alle diese von Ihnen genannten Bereiche kommen zum Entertainment. Und das ist eine für mich angenehme Entwicklung.» [8] Süddeutsche Zeitung vom 18./19.10.2003, Seite 20: «Ich habe Biolek immer gerne gesehen».

  • Wir sollten das noch einmal lesen. Da amüsiert sich eine Kultur zu Tode und ein angesagter Amüsieranimator verweigert jegliche politische Überlegung und sagt, daß das doch gut für ihn persönlich sei. ‹Oikos› eben. Nicht ‹Pólis›. Aber ehrlich, unter uns, das könnte doch auch eine Friseuse gesagt haben, oder? Hören wir mal rein:

  • Input: «Mit solchen Schleuderpreisen machen Sie staatlich subventioniert den Markt kaputt. Ist das nicht problematisch?»
    Output: «Für mich nicht.» [9] Süddeutsche Zeitung, Magazin No. 43 vom 24.10.2003, Seite 38.

  • Zurück zum verständnislosen Sonnenhüter. Prüfen wir noch einen

  • Input: «Das ZDF befördert mit der ...-Sendung den Trend zur allumfassenden Unterhaltung.»
    Output: «Ich habe kein Problem damit, wenn es in meiner Sendung passiert.» [10] Süddeutsche Zeitung vom 18./19.10.2003, Seite 20.

  • Hat so etwas die Friseuse nicht auch gerade gesagt? Klar. Beide Menschenkinder zeigen, daß sie voll kompatibel zur Postmoderne und zum finalen Kapitalismus sind. Beide verstehen nicht, um was es geht, denn sie wissen nicht, was sie tun. Wenn es ihnen – ganz persönlich jetzt gesehen – gut geht, ist das doch gut, oder? Beide denken nur an sich und ihren kleinen ‹Oikos›. Alles andere ist ihnen egal. Ja, aber machen das denn nicht alle Leute so? Nein, alle noch nicht.


    3.3 Wer also?

    Welcher Sonnenhüter hat sich oben in den beiden Beispielen entäußert? Müssen wir seinen Namen nennen oder kennen? Nein, das ist nicht nötig, denn ein Sonnenhüter ist zwar ein verdienter Held des Spektakels, als Person aber ist er unkenntlich, er existiert gar nicht, er ist zerflossen, zerronnen und erstarrt in seiner personalen Bedeutungslosigkeit, denn er hat ein besetztes, ein fremdbewirtschaftetes Gehirn. Der Sonnenhüter steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wird mit Aufmerksamkeiten verwöhnt. Aber er ist ein Klon, dem keinerlei Aufmerksamkeit gebührt.

    Und sollte ein Sonnenhüter mal keine hohen Einschaltquoten mehr erzielen, sollte er zum einem medialen Ladenhüter werden, sollte er eines Tages sich selbst und die Gefühle anderer Leute nicht mehr gefühlig verkaufen können, sollten die Dauer-Tranquilierten und Sedierten ihn nicht mehr anschauen wollen, dann ist er weg vom Fenster, vom Bildschirm, von der Sonne, die niemals untergehen darf, und die er in den Augen der ‹Herren des Wörterbuchs› schlecht gehütet hat.


    4. Schluß

    «Betrachtet man manchmal die Spitzbübereien der Kleinen und die Räubereien der Großen, so ist man versucht, die Gesellschaft für einen Wald voller Diebe zu halten. Die Häscher, die die Bande im Zaum halten sollen, sind die gefährlichsten.» [11] Nicolas Chamfort, a.a.O. Seite 55.

    Die Häscher, die die Bande im Zaum halten sollen, sind die gefährlichsten›. Ist das nicht wunderbar gesagt? Dieser Aphorismus wurde um 1785 aufgeschrieben von Sébastien Roch Nicolas de Chamfort (1740-1794), der in den Wirren der Französischen Revolution an den Folgen eines Selbstmordversuches starb.

    Und die Häscher heute sind – unter anderen – die Sonnenhüter. Und diese Sonnenhüter werden uns in eine autoritäre Postdemokratie führen. Sie wissen es nur nicht. Und wüßten sie es, wäre es ihnen völlig egal.


    Finis.



    Ins Netz gestellt am 28. Januar 2014
    Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
    Alle Rechte vorbehalten.
    Bitte senden Sie Ihre Kommentare zu diesem Text per E-Mail
    an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.