BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Zu Logik, Wirkung und Nutzen einer ‹Schmierlappenzeitung›»
von Albertine Devilder, Henriette Orheim & Helmut Hansen
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Propädeutik
Die Leute nennen sich nach dem ‹Tag› (Journalisten).
Mir scheint, daß man sie besser nach der Nacht benennen könnte.
Sie bringen ‹Nacht› über die Menschen, Dunkelheit, Verwirrung.
(Søren Kierkegaard) [1] Zitiert nach: Søren Kierkegaard (2004): Geheime Papiere. Die Andere Bibliothek. Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Band 231. Seite 249.

Wer irgendeine tiefere Bildung,
wer auch nur das bescheidenste
intellektuelle und ethische Reinlichkeitsgefühl besitzt,
kann kein tauglicher Journalist werden.
(Karl Hauer) [2] Zitiert nach Karl Hauer (1907): Das Gehirn des Journalisten. Erschienen in der Fackel Nr. 230/231, vom 15. Juli 1907, Seite 8.

«Bild, 12. September 2005, Seite 1: ''Penis-Riß - Blutiges Drama um Bundesliga-Star''. Auf Seite 2 appelliert der niedersächsische Ministerpräsident Wulff an die Bundesbürger, Angela Merkel zu wählen. Gegenüber, auf Seite 3, wird unmittelbar neben einer Abbildung, die den Leichnam eines in Hamburg verhungerten Kindes präsentiert, ein ''Sex-Witz'' zum Besten gegeben. Auf Seite 5 erfährt man Näheres über das ''Überluder Katie Price'', genannt ''Busen-Katie''. Auf Seite 14 bieten ''scharfe Teeny-Gören'' ihre Dienste an (''Sofort Vollgas mit Orgasmusgarantie''), und auf der letzten Seite plaudert ein Bonvivant aus dem Nähkästchen seiner Lebensregeln: ''Vergessen Sie das Gestern! Schmeißen Sie den Rucksack des Bereuens in den Müll.''» [3] Gerhard Henschel: «Von Tag zu Tag wird's schmutziger». In: Merkur: Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, 59. Jahrgang, Nr. 680, Dezember 2005, Seite 1181 - 1186.


Einführung
Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben
und haben etwas zu sagen, weil sie schreiben.
(Karl Kraus) [4] In: Die Fackel Nr. 300, vom 9.4.1910, Seite 20.

Artus Paul Feldmann, unser treuer und unentbehrlicher Sachbearbeiter, hat Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, in seiner Kolumne vom 20. Dezember 2005 schon einmal das kleine Spielchen vorgeschlagen, bei ‹Google› nach einem Begriff zu suchen, der in den Texten der ‹Bochumer Arbeitsgruppe› eine gewichtige Rolle spielt. Damals war es die Vokabel von den ‹Herren des Wörterbuchs›, heute ist es der Terminus ‹Schmierlappenzeitung›. Wir wissen, daß wir Ihnen dieses Spielchen schon mal in anderen Texten vorgeschlagen haben, aber, es ist immer wieder schön, sich daran zu beteiligen, glauben Sie uns! Bitte geben Sie also das Wort ‹Schmierlappenzeitung› jetzt gleich einmal bei Google ein und klicken Sie - nach dem Erscheinen der ersten Ergebnisse - auf «die Suche unter Einbeziehung der übersprungenen Ergebnisse wiederholen». Was sehen Sie? Nun, in dem Moment, da wir dieses Traktätchen schreiben, werden genau achtzehn Texte der ‹Bochumer Arbeitsgruppe› angezeigt, in denen der Begriff ‹Schmierlappenzeitung› auftaucht. Und wenn wir diesen Text fertig gestellt haben, werden es wohl neunzehn sein. Interessant ist, daß es dieses Wort, diesen Begriff für eine unsägliche ‹journalistische› Unternehmung nur bei uns, nur im ‹Skepsis-Reservat› gibt, nirgendwo sonst. Hey, verwenden wir dieses Wort denn ‹Welt-exklusiv›? Offensichtlich. Ja, sollten wir es denn erfunden haben? Könnte sein. Aber darum geht es nicht, es ist nicht wichtig, wer ein Wort erfunden hat, bedeutsam ist, wer es mit Leben erfüllt. Stolz sind wir allerdings darauf, regelmäßig über die schlimmste Zeitung unseres Landes zu schreiben, ohne jemals ihren ‹wirklichen› Namen genannt zu haben. Und dennoch weiß ein jeder, wer oder was gemeint ist.

Als wir in der letzten Redaktionskonferenz den Vorschlag machten, noch einmal genau und deutlich - vielleicht final? - über diese Zeitung zu schreiben, entstand ein Diskurs, der von Zweifeln geprägt war. ‹Warum immer wieder im Schmutz stochern?›, war die Frage, und: ‹Haben wir nicht schon oft genug über die verheerenden Wirkungen einer ‹Schmierlappenzeitung› geschrieben, und: ‹Wäre ein Ignorieren nicht sinnvoller?› Nun, wie Sie daran erkennen können, daß dieser Text nun erscheint, glauben wir das nicht. Diese Zeitung, von der im ‹Skepsis-Reservat› aus gutem Grund so oft die Rede war, hat eine Position, aus der heraus sich vieles Beklagenswerte und Schädliche für unsere Kultur und Gesellschaft ergibt. Deswegen halten wir es für sehr wichtig, sich mit dieser Zeitung nicht auf irgend eine resignierende Art und Weise zu arrangieren, sondern sie bloß zu stellen und dabei zu ergründen, welchen Regeln und Prinzipien sie folgt.

Warum schreiben wir also noch einmal über eine ‹Schmierlappenzeitung›? Was interessiert uns an diesem «ehrlosen Klatschblatt», dieser «üblen Sexualkloake» [5] Gerhard Henschel, a.a.O.? Nun, diese Zeitung symbolisiert für uns in allerdeutlichster Weise, um was es in unserer postmodernen Kultur geht. Ja, diese Zeitung ist nicht nur mächtig, sie ist auch nützlich. Diese Zeitung hat eine Logik, eine Wirkung und einen Nutzen. Wir können auch sagen: Diese Zeitung hat eine Aufgabe - und dieser Aufgabe wollen wir in diesem Traktat nachspüren. Beginnen wir mit ihrer


Logik
Wenn die Unterklasse [...] wüßte,
was die Gesellschaft ist und was die Oberklasse ist.
Die Unteren ahnen es manchmal,
wenn sie aus ihrem Schlummer geweckt werden,
doch dann starren sie sich wieder blind
am wirtschaftlichen Vorteil und vergessen,
daß es anderen Druck von oben gibt,
der die Unteren in unsichtbaren Ketten hält.
(August Strindberg) [6] Zitiert nach: August Strindberg (1921): Ein Drittes Blaubuch, nebst dem nachgelassenen Blaubuch. Strindbergs Werke: Deutsche Gesamtausgabe unter Mitwirkung von Emil Schering als Übersetzer vom Dichter selbst veranstaltet. Deutsche Originalausgabe gleichzeitig mit der schwedischen Ausgabe. München: Georg Müller Verlag. Seite 1269.

Die eine ‹Schmierlappenzeitung› begründende Logik ist leicht zu beschreiben, nicht nur, weil sie heute von ehemals seriösen Regionalzeitungen und Rundfunkanstalten aufgegriffen und imitiert und vor allem in TV-Programmen aller Art dekliniert wird. Wie sieht diese Logik aus? Nun, eines vorweg: Jegliche abstrakte Analyse wird vermieden, d.h., jedes gesellschaftliche, soziale oder politische Problem oder Ereignis wird weder beschrieben, erläutert, durchdacht noch erklärt. Statt dessen beobachten wir die Darstellung zusammenhangloser Einzelereignisse. In einer ‹Schmierlappenzeitung› ist beispielhaft der andauernde ‹Sieg des Konkreten über das Abstrakte› zu beobachten - und welche Konsequenzen dies für unsere Kultur hat. Im folgenden möchten wir sorgfältig auf einige Bestimmungsstücke der Logik einer ‹Schmierlappenzeitung› zeigen:

  • Personalisierung
    Es geht bei den ‹journalistischen› Beiträgen niemals um die Strukturbeschreibung von Systemen, sondern immer nur um Personen. Jegliche Ereignisse, jegliches Geschehen wird auf Personen attribuiert. Wenn eine Regierung aus Christ- und Sozialdemokraten zum Beispiel an der Schwindsucht unseres Rentensystems herumbastelt, wird auf keinen Fall erklärt, um was es geht oder wie aussichtslos dies Unterfangen ist, sondern das ganze Problem wird - etwa mit der erregenden Schlagzeile «Münteferings Rententricks» - auf eine Person geschoben. Da eine ‹Schmierlappenzeitung› immer eine politische Position hat und da diese, so ungenau sie auch sein mag, immer weit rechts von der politischen Mitte zu suchen sein wird, geht es hier in diesem Beispiel also darum, einen ‹Müntefering› als Sozialdemokraten unlauterer Absichten zu beschuldigen und ihn mit Schmutz zu bewerfen.

    Das Prinzip der Personalisierung ruht auf der archaischen Ideologie, daß im positiven wie im negativen immer einzelne Personen für ‹Sachverhalte› verantwortlich sind. ‹Führer› und Geführte sind halt in Deutschland nach wie vor unerläßlich. Natürlich ist dieses ‹Standardritual der Ursachensuche in der Person› ein ausgewachsener, ein klassischer Attributionsfehler, den wir hier im Reservat schon angemessen analysiert haben. Der ‹gesunde Menschenverstand› glaubt in seiner ‹Tendenz zum erstbesten Urteil› sehr gerne an dieses das Denken zur Ruhe geleitende Prinzip der Personalisierung. Das haben alle Kulturinsassen unserer ‹Gesellschaft des Spektakels› also mittlerweile perfekt gelernt: Wenn irgendetwas in einer Pólis oder einem sozialen System schief läuft, müssen Köpfe rollen, müssen Personen entfernt, entlassen, beseitigt oder gar ‹für immer weg gesperrt›. werden. Das soziale System selbst, das eben diese Personen hervorbrachte, wird naturgemäß niemals in Frage gestellt. Ja, es wird durch die Akte der Personalisierung gar entlastet, exkulpiert.

    So ist es eine der wichtigsten Aufgaben einer ‹Schmierlappenzeitung›, mit ihren ‹Lesern› und ‹Leserinnen› das ‹Standardritual der Ursachensuche in der Person› immer wieder einzuüben, und dies heißt, täglich einen medialen Sog aufzubauen, in dem ein Fußballtrainer entlassen, eine Prominente verstoßen, ein Politiker verleumdet oder ein ‹Täter› zum Monster aufgeblasen wird. Damit wird der heimliche Lehrplan an einer Stelle ganz offenbar: Verwalter des Systems des finalen Kapitalismus dürfen schon mal in Frage gestellt werden, das System selbst niemals. ‹Führer› dürfen schon einmal von denen, die überhaupt noch wählen, abgewählt werden, das System selbst kann und darf nicht abgewählt werden.

  • Emotionalisierung
    Die Attribution jeglicher Ereignisse auf Personen (‹Wer ist schuld?›) allein reicht jedoch nicht, zwingend notwendig in der Logik einer ‹Schmierlappenzeitung› ist die Reduktion von Personen auf Emotionen. ‹Journalistische› Berichte über Personen blicken also auf die ‹Gefühle› der Personen, niemals auf deren Klugheit, Weltsicht oder Umsicht. Wenn zum Beispiel ein ‹Sonnenhüter› - als verdienter Held des ‹Spektakels› - bei irgendeiner von einer ‹Schmierlappenzeitung› veranstalteten Preisverleihung zu Recht einen Preis dafür bekommt, daß er unermüdlich die hier beschriebene Logik dekliniert, und dann vor Publikum ein paar Tränen vergießt über irgendetwas oder irgendjemand, so ist das eine ganz große Nachricht, denn Tränen gelten in unserer Kultur als besonders deutlicher, ja, unhintergehbarer Ausdruck von Gefühlen.

    Mit der bedingungslosen Emotionalisierung wird ein wesentliches psychisches Merkmal der Konsumenten einer ‹Schmierlappenzeitung› bedient, deren geistige Schlichtheit: «Der Dilettant wird nie den Gegenstand, immer nur sein Gefühl über den Gegenstand schildern.» [7] Johann Wolfgang von Goethe. Zitiert nach: Die Fackel, herausgegeben von Karl Kraus, Nr. 313/314, vom 31.10.1910, Seite 36.Dieser Aphorismus wird heute im TV, in den ‹Je-ka-mi-Nachrichten› der Rundfunkanstalten und eben in der Schlicht-Presse täglich mit Leben erfüllt: Irgendetwas ist geschehen, und Menschen berichten, welches Gefühl sie dazu haben. Toll. Weder Perception, geschweige denn Apperception, nein, Gefühle!

  • Erregungsproduktion durch Skandalisierung
    Die Rückführung allen Geschehens auf Personen und die Reduktion von Personen auf Emotionen reicht einer ‹Schmierlappenzeitung› nicht, ein wesentliches weiteres Merkmal ist die Produktion eines Echauffements der Zeitungs-Endverbraucher durch eine Skandalisierung. Es geht also darum, die ‹Leser› und ‹Leserinnen› zu einem Sich-Ereifern, Sich-Erhitzen, zu einem ein ‹die Beherrschung verlieren› anzuleiten. Deswegen werden niemals Argumente vorgestellt und abgewogen, nein, es müssen schon Schlagzeilen her wie ‹Terror›, ‹Horror›, ‹Wut› und ‹Skandal› sein, die auf billigste Gefühle zielen. Helmut Hansen hat in seinem schönen Essay ‹Kultur ist Reichtum an Erregung› die Psycho-Logik unserer Erregungskultur bereits beschrieben: «Sie besteht aus einer mit Schadenfreude verbundenen völlig aggressiven Subjektivität, aus einer totalen und dem Prinzip der Übertreibung folgenden Exaggeration, aus einer unbedingten und gnadenlosen Einseitigkeit und Parteilichkeit, und aus einer Freude an der Eskalation und am Echauffement! Und die auf Groll, Haß und Neid bauende Ästhetik der Erregung hält sich an eine aggressive Abwertung des ‹Anderen›, an Hohn, Spott, Häme, Herabwürdigung, Erniedrigung, Beschimpfung, Beleidigung, Verachtung. [...] Diese prähumane Ästhetik - und damit Ethik - nimmt überhand. Heute. Denn der Verwahrlosung des gesprochenen Wortes folgt die Verwahrlosung der Tat.» Und weiter: «Wenn wir uns ansehen, was so den ganzen Tag in den Medien geschieht, dann verstehen wir, daß die Erregungskultur in ihrem «verantwortungslosen Reden» «Züge demokratischer Verwahrlosung» und «rhetorischer Hemmungslosigkeit» zeigt. Der ‹kleine Mann auf der Straße› wird permanent dazu angehalten, ein Defätist, ja ein politischer Rassist zu sein, bis zur Halskrause angefüllt mit Ressentiments, ja so an-, ab- und aufgefüllt, daß er des öfteren von seiner Erregung in eine Hyperventilationstetanie gerät und die Besinnung verliert. Und weit und breit kein hilfreicher Geist, der dabei etwas ordnen oder retten könnte. Das soll so sein.»

    Die Endverbraucher einer ‹Schmierlappenzeitung› lassen sich von dieser skandalisierten Erhitzung also ganz wunderbar treffen,denn sie werden dort abgeholt, wo sie stehen. Emotionalisierung, Erregung und Empörung treffen perfekt auf die psychische Grundausstattung der Konsumenten von ‹Schmierlappenzeitungen›. In dem Traktat ‹Falsche Empörung› haben wir beschrieben, wie das zum einen im einzelnen zusammenhängt und wie zum anderen im Alltag die Ursachen für das Echauffement über einen der üblichen Verdächtigen meist gar selbst herbeigeführt werden.

  • Reduktion auf Körperlichkeit:
    Neben der Personalisierung und Emotionalisierung aller Ereignisse gehört noch eine weitere unerläßliche Variable zum Arsenal einer Schmierlappen-Journalistik, die Reduktion von Menschen auf ihre Körperlichkeit. Die Reduktion auf Körperlichkeit, auf Aussehen und Nacktheit wird in einer ‹Schmierlappenzeitung› als besondere Variante der oben skizzierten Personalisierung täglich eingeübt. Und diese Reduktion kennt insbesondere bei Frauen und Mädchen keine Gnade, hier werden die Konsumenten einer ‹Schmierlappenzeitung› in die Falle einer billigen, räudigen Körperlichkeit gelockt. Wie Henriette Orheim in ihrem Traktat ‹Über die Nacktheit› skizziert hat, gehört zur Ästhetik einer ‹Schmierlappenzeitung› unbedingt die Nacktheit des weiblichen Körpers. Henriette schreibt: «Nacktheit ist in großen sozialen Räumen unserer Gesellschaft nichts privates, nichts intimes mehr. Die eigene Nacktheit ist keine Privatangelegenheit, nein, sie ist etwas, das völlig selbstverständlich an die Öffentlichkeit gehört. Heute kann ein [...] ganz ‹normal› sozialisiertes Mädchen beim erstbesten Versprechen auf eine hinreichend große Öffentlichkeit das Recht auf Bedeckung, auf Schutz vor Entblößung unter allgemeinem Beifall aufgeben, indem es sich nicht entblödet, sich zu entblößen. Natürlich in der ihr intensiv nahegelegten Hoffnung, über ihr Aussehen etwas zu werden, zu erreichen, ‹gecastet› zu werden, ‹Erfolg› zu haben. Sie hat in ihrem kurzen Leben gelernt, was eine tragen muß, von der die Leute reden sollen: Nichts.»

    Bethchen B. hat in ihrem Essay ‹Die traurigsten Augen› über die Konsequenzen der Reduktion auf Aussehen und Körperlichkeit philosophiert. Und Helmut Hansen verwundert sich über den ‹Guten Sex›, der sich aus diesem Körperlichkeits-Paradigma ergeben soll. Ach ja.

    Eine ‹Schmierlappenzeitung› von echtem Schrot und Korn bedient noch viele weitere wesentliche Merkmale des ‹gesunden Menschenverstandes›. Wir möchten hier jedoch nur noch eines erwähnen, ‹Egozentrische Urteile›. Diese beruhen meist auf einem illusionären Konsens, einem ‹Ich seh' doch was ich sehe› und einer Empörung, daß andere die Welt nicht genau so sehen. Dies ist natürlich unredlich und perfide, aber als bedeutendes Stilmittel holt es die Schmierlappenzeitungs-Endverbraucher wieder einmal genau da ab, wo sie stehen. Albertine Devilder und Henriette Orheim schreiben dazu: «Die Aufteilung der Welt in «Ich versus die Anderen» fängt für Leute, die in ihren egozentrischen Urteilen verwunderungsfrei zu Hause sind, ganz banal an. Und setzt sich fort. Hin zu Urteilen über politische Angelegenheiten, Migranten, Gewerkschaften.» Wie schön ist es für eine ‹Schmierlappenzeitung›, die Systemstruktur des egozentrischen Urteilens hier mit Inhalten füttern zu dürfen.

  • Lieber Leser, liebe Leserin, es gäbe noch etliches zu sagen, doch auch unserer Langmut, unsere Geduld erschöpft sich bei der Beschäftigung mit Schmutz. Wir glauben, die Logik einer ‹Schmierlappenzeitung›, also das, was August Strindberg die ‹unsichtbaren Ketten› nennt, hinreichend beschrieben zu haben. Lassen wir die Analyse hier enden, wenden wir uns den psychologischen, sozialen und politischen Wirkungen einer ‹Schmierlappenzeitung› zu.


    Wirkung
    Das Volk [...] muß Gesetze hinnehmen, die für sie,
    oder richtiger gesagt, gegen sie gemacht sind,
    von oben, das wissen sie.
    Aber alles, was sie denken, selbst die Denkgesetze,
    sind da oben gemacht.
    (August Strindberg) [8] August Strindberg, a.a.O.

    Betrachten wir uns die Wirkung einer ‹Schmierlappenzeitung›. Zunächst einmal führt diese ihren Endverbrauchern täglich vor, wie sie sich gegenüber der Welt verhalten sollen: Hirnlos und atemlos. Statt Hauptschauplätze werden unbedeutende Nebenschauplätze gezeigt, statt dem Eigentlichen wird Uneigentliches präsentiert, Ablenkung und Manipulation bestimmen die Agenda. Wir können sagen, daß eine ‹Schmierlappenzeitung› ihre ‹Leser und Leserinnen› vom Denken fern hält und ihnen stattdessen wohlfeile Meinungen anbietet, die sie von allen eigentlichen und wesentlichen Problemen unseres Landes und ihrer eigenen Person ablenkt. Kurz: Eine ‹Schmierlappenzeitung› zielt auf die Erzeugung einer Besinnungslosigkeit. Und schon wieder sind wir bei Strindbergs ‹Unsichtbaren Ketten›. Doch wir müssen noch etwas näher hinschauen:

    Eine ‹Schmierlappenzeitung› vulgarisiert und beschmutzt - gemeinsam mit dem ‹Unterschichtfernsehen› - alles mögliche ‹Höhere› und spielt deswegen eine wichtige Rolle in unserer ‹Gesellschaft des Spektakels›. Wie oben beschrieben, werden Menschen reduziert auf Unwesentliches wie Emotionalität und Körperlichkeit und damit wird - und dies ist der eigentliche Punkt - jegliche Bildungsanstrengung verlacht. Eine ‹Schmierlappenzeitung› hat also eine ganz direkte Wirkung: Sie erzeugt - mit Hilfe von Unterschicht-Texten und Unterschicht-Bildern - sekundäre Analphabeten. Oder anders: Eine ‹Schmierlappenzeitung produziert genau die Opfer, die in unserer final-kapitalistischen Gesellschaft gebraucht werden, und das heißt natürlich, nicht mehr gebraucht werden.

    Die Segregation der Sozialschichten in Opfer und diejenigen, die noch gebraucht werden, läßt sich daran erkennen, mit welch' ‹feinen Unterschieden› [9] Pierre Bourdieu (1984): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Dritte Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp-Verlag. in den sozialen Strata mit den vulgären Massenmedien umgegangen wird. Gustav Seibt schreibt: «Reiche Leute haben die Möglichkeit, ihre Kinder sinnvoll zu beschäftigen, auf sie aufzupassen, sie von den Rohheiten der virtuellen ‹Straße› fern zu halten und sie in einen verantwortlichen Medienkonsum einzuüben. Dagegen erreichen die Dreckfluten des medialen öffentlichen Raumes die neuen Unterschichten [...] überwiegend ungefiltert. Umweltverschmutzung hat die Armen schon immer ungleich stärker betroffen als die Wohngebiete der Reichen.» [10] Gustav Seibt: Opfer '06. Die Bildungskatastrophe, die Wertedebatte und die heillose Macht des Vulgären in den Massenmedien. Erschienen in der ‹Wochenend-Beilage› der Süddeutschen Zeitung Nr. 99 vom 29. April 2006, Seite I. Gustav Seibt hat natürlich Recht. Eine ‹Schmierlappenzeitung› präsentiert täglich lustvoll und schreiend all' das, was wir unter dem Stichwort ‹Bildungskatastrophe› zusammenfassen können, und produziert damit - genau, eine Bildungskatastrophe. Damit haben wir die Hauptwirkung dieser ‹Zeitungen› beschrieben.

    Es kommt aber noch ein weiterer sehr wesentlicher Aspekt dazu: Da in einer ‹Schmierlappenzeitung› «dem Publikum beständig nach dem Mund geredet wird», haben die Medien «das breite Publikum dahin erzogen, sich selbst und die eigene kleinbürgerliche Sicht ohne Scham als Zentrum jeglichen Denkens zu begreifen.» [11] Günter Schütter: Der kleine dumme Bruder des Dramas. Kein Platz für wilde Stoffe, es herrscht Kleinbürgerlichkeit im Kino. Süddeutsche Zeitung Nr. 88 vom 15. April 2006, Seite 16. Wenn wir dies wirklich verstehen, wenn wir uns klar machen, wie eine ‹Schmierlappenzeitung› sinnlose Anspruchsunverschämtheiten und leere Empörungen erzeugt, dann wird deutlich, wie diese kleinbürgerliche ‹offensive Autopoiese› eine Perpetuierung der oben beschriebenen Bildungskatastrophe verspricht.

    Nur nebenbei, wie Henriette Orheim und Artus P. Feldmann in ihrem schönen Essay ‹Guck mal, wer da schreibt! The making of Schmierlappenzeitung› gezeigt haben, ähneln sich Macher und Endverbraucher einer ‹Schmierlappenzeitung› in köstlicher Weise. Lesen Sie, lieber Leser und liebe Leserin, nur einmal die tollen selbstbewußten Sprüche, die so ein Schmierlappenschreiber ‹heraus haut›! Was sagt Karl Hauer: Der Journalist hat nur «einen Ernst: mit den Brocken, die er der Masse hinwirft, ihren Geschmack zu treffen, vor der Masse recht zu behalten, maßgebend zu sein, eine Macht zu sein, mit der man sich verhalten muß!» [12] Zitiert nach Karl Hauer (1907): Das Gehirn des Journalisten. Erschienen in der Fackel Nr. 230/231, vom 15. Juli 1907, Seite 11. Ach, welch ein kleinbürgerlicher Traum, ‹eine Macht zu sein, mit der man sich verhalten muß!› Und schon verstehen wir die meisten psychischen Niedrigkeiten, die da täglich in einer ‹Schmierlappenzeitung› ausgebreitet werden.


    Nutzen
    Und der Gesichtspunkt für das ganze Wissen
    ist ein einziger.
    Alles für die Oberen Unangenehme
    wird vorenthalten oder verschwiegen.
    (August Strindberg) [13] August Strindberg, a.a.O.

    Wir haben die schlichte Logik und die immense Wirkung einer ‹Schmierlappenzeitung› beschrieben. Kommen wir zum Nutzen für ‹dieses unser› Land. Wenn wir an Bourdieus ‹feine Unterschiede› denken, erscheint es uns mehr als plausibel, daß eine final-kapitalistische Gesellschaft Medien für alle sozialen Strata bereit hält. Die Oberschicht liest je nach politischer Orientierung eine der großen Tageszeitungen, die obere Mittelschicht schafft soeben noch das ‹Nachrichtenmagazin ohne Nachrichten› und glaubt an ‹Fakten, Fakten, Fakten› und Rangreihen, und von der mittleren Mittelschicht an nach unten bietet sich eine ‹Schmierlappenzeitung› an für diejenigen, die überhaupt noch lesen können.

    Wenn wir Strindbergs Wort von den ‹Denkgesetzen› aufgreifen, dann wird klar, daß eine ‹Schmierlappenzeitung› neben der üblichen allgemeinen Propaganda für Kapitalismus und Globalisierung für ‹ihre› soziale Schicht ‹Denkgesetze› zur Verfügung stellt, die vom Denken abhalten. Die Logiken von ‹Emotionalisierung›, ‹Personalisierung›, ‹Skandalisierung› und Co. implementieren eine Bildungsverachtung und eine Verschweinung des Alltags. Und damit wird der politische und gesellschaftliche Nutzen einer ‹Schmierlappenzeitung› klar: Stellen wir uns nur mal kurz vor, die etwa zehn Millionen Ausgegrenzten und Überflüssigen in unserer Gesellschaft würden sich geistig und kulturell bilden, würden sich von schmutzigen Schmierlappen emanzipieren, würden ihre ‹Person› vervollkommnen, würden etwa lesen, sprechen und denken lernen und daraufhin Ansprüche anmelden und Forderungen nach Teilhabe stellen! Das wäre eine Katastrophe für unsere Gesellschaft.

    Damit dieser Nutzen einer ‹Schmierlappenzeitung› erhalten bleibt, ist es äußerst wichtig, daß die ‹bildungsfernen› Schichten ‹ihrer› Zeitung eine Glaubwürdigkeit zubilligen. Eine ‹Schmierlappenzeitung› kann ihre Aufgabe, den Angehörigen ‹bildungsferner› sozialer Räume die Rückkehr ans Licht zu vereiteln und immer mehr Menschen unserer Pólis in eine ‹Bildungsferne› zu schieben, nur erfüllen, wenn sie als eine Autorität daher kommt. Diese ‹Zeitungen› brauchen also eine ‹street-credibility›, damit sie ihr Analphabetisierungs-Programm immer weiter fortsetzen können, damit sie unserer Gesellschaft von ‹Nutzen› sind.

    Genau aus diesem Grund treten ‹christliche› Politiker gerne in dieser «üblen Sexualkloake» [14] Gerhard Henschel, a.a.O. auf, um die derzeitigen offiziellen Denkregeln und Denkgesetze zu verkünden, und um so mit einem gewissen ‹Druck von oben› Strindbergs ‹unsichtbare Ketten› auszulegen. Das merken die Endverbraucher einer solchen Zeitung aber nicht, sie fühlen sich nur geehrt, daß angeblich ‹namhafte› Personen ‹ihre› Zeitung respektieren, und sich mit ihnen, den Endverbrauchern, gemein machen. Gerhard Henschel sagt in seinem wunderbaren Beitrag im Merkur: «Dass eine Kulturnation bis hinauf in die höchsten Spitzen der Regierung, der Wirtschaft und der Erbverwalter Goethes mit diesem Zentralorgan der Unterhosenspionage paktiert, ist ein Skandal. In Bild gurgelt der Gully obszön vor sich hin. Wer in dieses Abflussrohr hinabsteigt, der hat seinen Geist aufgegeben. Wer Bild als Kolumnist oder als Interviewpartner dient, der ist ethisch gerichtet und hat seinen intellektuellen und moralischen Bankrott erklärt [15] Gerhard Henschel, a.a.O. Und weiter: «Vor Bild kuscht der gesamte Bundestag, und kein konservativer Landesvater schrickt davor zurück, in Bild das Wort zu ergreifen.» [16] Gerhard Henschel, a.a.O.

    Eine der wahn- und vorwitzigsten Aktionen einer bekannten ‹Schmierlappenzeitung› war es, sich mit der Herausgabe einer ‹Volksbibel› vom Papst persönlich den Segen geben zu lassen, weiter in Schmutz und Schund waten und Endverbraucher analphabetisieren zu dürfen. Der ‹Schmierlappenzeitungs›-Konsument sollte bei dieser Aktion lernen, daß sein Weltzugriff über eine ‹Schmierlappenzeitung› nicht falsch sein kann, wenn die großen ‹Volkskirchen› und der Papst einer von einer ‹Schmierlappenzeitung› herausgegebenen ‹Volksbibel› ihren Segen geben.

    Ja, es ist ein Skandal, mit welcher Schamlosigkeit Politiker ihr Kalkül vorführen, daß es besser sei, einer ‹journalistischen Macht› dazu zu verhelfen, die Menschen täglich schlechter zu machen und deren Empfindungsvermögen auf Dauer zu ruinieren. Das soll so sein, denn unter Überschriften wie ‹Wir sind Papst› werden ‹Klassengegensätze› erfolgreich verwischt und vertuscht. Und der Nutzen für die ‹Herren des Wörterbuchs› und die mit ihnen paktierenden politischen Trittbrettfahrer ist immens: Die Unterschicht bleibt unten, und die obere Mittelschicht kann sich über die ausbleibende und fort gefallene Konkurrenz freuen. Während die Bürgerkinder ihren ‹Master of Business Administration› machen und unter sich bleiben, versacken die ‹bildungsfernen› Schichten in der «üblen Sexualkloake».

    Wir haben im ‹Skepsis-Reservat› der Bochumer Arbeitsgruppe schon an verschiedenen Stellen und unter verschiedenen Überschriften über das Wirken und den Nutzen einer ‹Schmierlappenzeitung› berichtet. Wir möchten dieses Kapitel ausklingen lassen mit einigen Zitaten, die nicht nur immer noch aktuell sind, sondern deren Aktualität die Zukunft erweisen wird.

    So beklagt Helmut Hansen in einem Essay den ‹Abschied vom ‹homo politicus›: «Gibt es ihn also noch, den «homo politicus»? Kann es ihn noch geben? Und gäbe es ihn, gäbe es den «homo politicus» also ‹wirklich› noch, auch heute noch, und auch nur einen, wie würde er von der «schlimmsten Lichtquelle der Welt» ausgeleuchtet? Welchen Sprachmüll würde die größte Schmierlappenzeitung dieses unseres Landes dauerhaft und täglich auf ihn werfen? Und in welchen Tönen lachte der Konsens-Chor aller Demokraten ihn aus? Gute Fragen.»

    Albertine Devilder, Henriette Orheim und Helmut Hansen beklagen in ihrem Essay über den ‹Abschied vom Staat›: «Die Hauptaufgabe der Politik heute ist es also, zum einen dafür zu sorgen, daß Kapital und Wirtschaft ungehemmt Gewinne machen und Kollateralschäden an Mensch, Material und Umwelt dem Staat aufhalsen können, und zum anderen, daß es bei den Regierten keine Auflehnung, keinen Widerspruch gegen die Auswirkungen und Konsequenzen des finalen Kapitalismus gibt: Politik hat hier die genuine Aufgabe, die Entgrenzten, Ausgegrenzten und Zurückgelassenen zu tranquilieren und durch allerlei Staatsaktionen bei Laune zu halten. Dabei bietet sich unter anderem an, den Verlierern Ressentiments zu liefern, die sie von ihrer eigenen Lagebefindlichkeit ablenken können. Oder anders: Den Opfern unseres Systems bietet man andere Opfer, über die sich dann echauffieren dürfen. Großmeister in der Kunst dieser Politik ist der derzeitige Ministerpräsident des Landes Hessen. Er hat die neuen Aufgaben der Politik klar erkannt und arbeitet Arm in Arm mit der größten Schmierlappenzeitung dieses Landes an der Aktivierung und Erregung der wirklichen Opfer unseres Staates, indem er diesen ‹Ausländer›, ‹Kriminelle› und ‹Terroristen› als Opfer zum Fraße vorwirft.»

    Und Henriette Orheim und Helmut Hansen beklagen in ihrem Traktat ‹Abschied von jeder Haltung›: «Haben die Menschen erst einmal gelernt, daß alle Ereignisse personalisiert und emotionalisiert daherkommen, so halten sie sich in Zukunft strikt an den Satz «Du sollst keine Unterscheidungen treffen, die nicht Deine Gefühle betreffen». Und haben die Kulturinsassen es endgültig aufgegeben, sich um solche eigenen inhaltlichen Unterscheidungen zu bemühen, die über das Emotionale hinausgehen, dann ist nicht mehr zu erwarten, daß sie noch irgendwelche Differenzierungen jenseits von Lust oder Unlust, von langer oder kurzer Weile treffen. Sie sind eine Spiegelung, ein Schmutzfleck auf dem Bildschirm ihres TV-Gerätes geworden. Haltlos. Aber aufgeregt. Ohne jede Kontenance.»

    Wir denken, daß die Medien - und insbesondere eine ‹Schmierlappenzeitung› - heute die gesellschaftliche Aufgabe haben, Menschen vom Zustand der Selbstreferenz abzuhalten und dennoch drohende Selbstreferenzen so oft und so schnell wie möglich zu unterbrechen. Henriette Orheim und Helmut Hansen sagen dazu in ihrem schon oben erwähnten Essay ‹Abschied von jeder Haltung›: «Wenn dann der Prozeß der Selbstreferenz durch andauernden TV- und Schmierlappenzeitungskonsum eines Tages gar nicht mehr einrasten, überhaupt nicht mehr starten kann, dann ist die Masse der Kulturinsassen endlich ohne jeden Halt und - wehrlos: ‹Abschied von der Eigenbewegung›. Keine Haltung mehr zu haben, bedeutet, keinen Halt zu haben, haltlos und labil zu sein: Also ohne inneren, seelischen, moralischen Halt, ohne Rückhalt, ohne eine innere Festigkeit, ohne etwas, woran man sich festhalten, worauf man sich stützen kann. Das alles ist verloren gegangen und eingetauscht worden gegen flüchtige Erregungen.»

    Wir denken, daß wir mit diesen Zitaten den ‹Nutzen› einer ‹Schmierlappenzeitung› für ein final-kapitalistisch organisiertes Land angemessen beschrieben haben. Nur am Rande möchten wir noch festhalten, daß es in einer ‹Schmierlappenzeitung› selbstredend auch um ‹nackten Kapitalismus› geht: Vermutlich verdient sich eine ‹Schmierlappenzeitung› mit inszenierten Cross-Over-Geschäften regelmäßig eine ‹goldene Nase›, indem sie in ‹journalistischen Beiträgen› Produkte wie Computer, Autos oder Versicherungen ‹testet› und für gut befindet und dafür dann mit Anzeigen ‹belohnt› wird. Und der Verweis auf aufregende Formate im abendlichen Privat-TV wird ebenfalls lohnend sein. Schamlosigkeit auch hier. Klar.


    Schluß
    Es ist unzulässig, daß Leute der Wissenschaft Tiere zu Tode quälen;
    mögen die Ärzte mit Journalisten und Politikern experimentieren.
    (Henrik Ibsen) [17] Zitiert nach: Die Fackel, Nr. 230-231, vom 15. Juli 1907, Seite 13.

    Oft hören wir in der Postmoderne - als der verlängerten Moderne -, es gehe um nichts mehr. Dies Diktum können wir mit Blick auf eine ‹Schmierlappenzeitung› präzisieren. Es geht tatsächlich um nichts Höheres mehr, es geht nicht darum, die Menschen ‹besser› zu machen oder ihnen dabei zu helfen, sich aus ihrer ‹Unmündigkeit› zu befreien, es geht auch um keine Werte und keine Ethik mehr - da hilft auch die Veröffentlichung einer ‹Volksbibel› als Ablaß nichts. Nein, einer ‹Schmierlappenzeitung› geht es um Schmutz. Sie hat ihre Endverbraucher da, wo sie sie haben will: «Die Presse kann ihre Macht nur erhalten, wenn sie den geistigen Tiefstand der Masse faktisch verkörpert. [...] Die Popularität der Presse ist wirkliche Gemeinheit, die Presse ist des Pöbels. Was der Zeitungsleser in den Blättern sucht und findet, ist der Abklatsch seiner eigenen Niedrigkeit.» [18] Karl Hauer. Zitiert nach: Die Fackel Nr. 230-231, vom 15. Juli 1907, Seite 7.

    Aber, das macht Sinn, es findet den Beifall der Mächtigen, denn es hält die Chancenlosen und Ohnmächtigen da fest, wo sie ohnehin schon sind. Es geht also um den finalen Kapitalismus. Die ‹Schmierlappenzeitung› ist genau der ‹Druck von oben›, der die Unteren in ‹unsichtbaren Ketten› hält. Man bietet den Opfern unserer Gesellschaftsform das Füllhorn des Vulgären, die ‹Enttabuisierung› des Sexuellen, die Schlüssellochperspektive des Skandalisierten, kurz, man empfiehlt ihnen, sich leer und sinnlos zu erregen - und hält sie damit bei Laune. Geht doch.



    Erstellt: 22. Mai 2006 - letzte Überarbeitung: 22. Mai 2006
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